SEX, WILLKÜR UND ANTISEMITISMUS : Katholiken vs. Katholiken
AUS WARSCHAU GABRIELE LESSER
Duell der Pfaffen“, „David gegen Goliath“, „High Noon am Altar“. So könnte man den bizarren Streit betiteln, der Polen in Atem hält. Es geht dabei – wie könnte es anders sein – um die katholische Kirche, um Sex, Antisemitismus und Willkür gegenüber Untergebenen.
Im Mittelpunkt steht der Kleinstadtpfarrer Wojciech Lemanski aus Jasienica bei Warschau. Der 52-Jährige setzt sich schon lange für die polnisch-jüdische Versöhnung ein, gilt als äußerst liberal und eckte bei den Oberen häufig an. Und er wollte es sich nicht bieten lassen, als ihn der Warschauer Erzbischof Henryk Hoser wegen Ungehorsams absetzte und in ein Altenheim für Priester schicken wollte. Er begehrte offen auf und machte Details aus einer Unterredung mit Hoser öffentlich: „Gehören Sie etwa dem Volk der Juden an?“, soll der ihn einmal gefragt haben. Damit war der Skandal perfekt. Als am Montag der Nachfolger in Jasienica mit seinen 3.000 Einwohnern auftauchte, kam es zu tumultartigen Szenen. Die ganze Gemeinde stellte sich vor Lemanski. Der Priester mit den wachen Augen und den kurz geschnittenen grauen Haaren forderte: „Der Papst soll entscheiden!“
Der Skandal um den rebellischen Priester beschäftigt die ganze Gesellschaft. Immerhin geben 90 Prozent aller Polen an, praktizierende oder zumindest gläubige Katholiken zu sein. Doch wie so oft: das Land ist gespalten. Ein großer Teil hält es mit dem aufmüpfigen Priester, der sich gegen allen Widerstand für die Versöhnung von Juden und Katholiken in Polen einsetzt.
Zbigniew Nosowski, ein Wortführer der liberalen Katholiken in Polen, erinnert daran, dass Lemanski „jedes Jahr an den Gedenkfeiern des Pogroms von Jedwabne teilnimmt, bei dem 1941 nach dem Abzug der sowjetischen Besetzer katholische Polen auf Anstiftung der SS ihre jüdischen Nachbarn ermordeten“. Anders als die Amtskirche habe er nichts gegen die künstliche In-Vitro-Befruchtung, setze sich vielmehr für die so geborenen Kinder ein. Erzbischof Hoser hingegen bezeichnete 2010 die In-vitro-Befürworter als „außerhalb der Kirche stehend“.
Agnieszka Ziolkowska, die erste Polin, die dank dieser Methode zur Welt kam, sagt heute: „Wäre Erzbischof Hoser damals Premier Polens gewesen, würde es mich nicht geben. Und 30.000 weitere Menschen in Polen auch nicht.“ Sie ist trotz eines offenen Briefes Lemanskis an die In-vitro-Geborenen inzwischen aus der katholischen Kirche ausgetreten. So konsequent sind nur wenige. Aber die Kirchen leeren sich merklich.
Zu den Anhängern des Erzbischofs zählen die Hörer des nationalistisch-katholischen Radio Maria. Sie halten Priester Lemanski für einen Verräter, der es mit der linken Lumpen-Intelligenzija halte und „antiklerikalen“ Medien wie der Gazeta Wyborcza, Polityka oder TVN24 Interviews gebe. Übel nehmen sie auch, dass Lemanski die Kirche kritisiert, mit pädophilen Geistlichen zu nachgiebig zu sein.
„Er hat sich vergaloppiert und dem Erzbischof den Krieg erklärt“, sagt Tadeusz Isakowicz-Zaleski, ein Priester, der in der Zeit der Volksrepublik von der Miliz gefoltert wurde und heute eine Ikone der Rechten ist. „Kirchenfeind Nr. 1“, titelte daraufhin Newsweek Polska und zeigte Lemanski mit einer jüdischen Kippa am Grabmal für die ermordeten Juden in Jedwabne.
Inzwischen hat der Priester eingelenkt. Am Sonntag wird er sich offiziell von seiner Gemeinde in Jasienica verabschieden. Die hält fest zu ihm: „Der Papst wird ihn zu uns zurückschicken“, ruft eine ältere Frau den vor der kleinen Kirche Versammelten zu.