SCHULPOESIE : Liebe ist Schmerz
Der Lehrer sagt: Keine Bange, wir sind keine Radauschule oder so. Die HipHopper sitzen hinten links und kippeln, der Schüchterne sitzt allein in der ersten Reihe, die kitschigen Pferdemädchen in der dahinter. Ich fordere die Schüler auf, ein Liebesgedicht zu schreiben, und frage: Ihr wart doch alle schon mal verliebt, oder? Heftiges Nicken bei den Mädchen und HipHoppern, also los. Der Schüchterne winkt mich heran und sagt, dass er nicht wisse, was Liebe sei. Schwierig, denke ich, und sage was anderes. Ein Mädchen, das allein sitzt, erwähnt, dass es noch nie verliebt war. Und nachdem sie das leise gesagt hat, beginnt sie fast zu weinen. Willst du eins über dein Lieblingstier schreiben? Ja, will sie.
Dann folgt allgemeine Verunsicherung. Ich rufe: Hey, ihr seid die Herrscher über dieses Blatt Papier, macht, was ihr wollt, aber macht ein Liebesgedicht. Gedichte müssen nicht gereimt sein, alles klar? Alles klar! Später verzweifelt einer an der Handhabung einer Schere, mit der Überschriften aus einem Boulevardblatt zu einem Gedicht montiert werden sollen. Eine halbe Stunde später erkläre ich, was ein Haiku ist und frage dann: Verstanden? Einer der Stillen sagt: Heiko ist doch gar nicht da, der hat Erkältung. Ich gehe herum und gebe Tipps. Am Ende der Doppelstunde liest die erste Mutige ihr Liebesgedicht. Sie wird ausgelacht. Dann die nächste. Das Lachen weicht einer interessierten Aufmerksamkeit, bis eine liest „Die Liebe ist Schmerz“. Es wird geklatscht. Da ist er also, der große Moment. Ich verbuche es unter Haben. Einen besseren Abschluss kann es nicht mehr geben.
Dann kommt einer, die anderen sind schon Richtung Schulhof unterwegs, zurück ans Pult und sagt: Gedichte kann ich nicht, ich schreibe zu Hause Kurzgeschichten, aber Gedichte kann ich irgendwie nicht. Macht nichts, sage ich, jetzt weißt du das. BJÖRN KUHLIGK