SCHRÖDER GIBT SICH AUTORITÄR, WEIL ES ZU IHM KEINE ALTERNATIVE GIBT : Erpressungen in der SPD
Der Kanzler hat eine neue Rolle für sich entdeckt: Seit seiner Regierungserklärung im März gibt er den „Führer in harten Zeiten“, der keine Kompromisse mehr kennt, sondern nur noch klare Ansagen. Parteiinterne Kritik ist jedenfalls nicht mehr erwünscht. Ein Sonderparteitag bei der SPD? Aber nicht doch. Die Basis darf auf vier „Regionalkonferenzen“ nur noch zur Kenntnis nehmen, warum der gelockerte Kündigungsschutz und die Kürzungen bei den Arbeitslosen unumgänglich sind. Mancher Parteifreund hat seine Ohnmacht bereits eingesehen und ist ausgetreten. Allein die SPD in Hessen hat seit Januar 600 ihrer Mitglieder verloren, wurde entsetzt an die Parteizentrale gemeldet.
Schröder kann es sich leisten, autoritär aufzutreten. Parteiinterner Widerstand ist unmöglich, dafür sorgt schon die Satzung der Sozialdemokraten. Während beispielsweise bei den Grünen nur zehn Prozent der Kreisverbände benötigt werden, um einen Sonderparteitag zu beantragen, müssen es bei der SPD über die Hälfte sein. Damit verlangt die Satzung ein Paradox: Die Minderheit muss schon Mehrheit sein, bevor sie sich als Minderheit artikulieren darf. Deswegen setzt die SPD-Linke längst auf eine andere Form des Widerstands und droht, die Kanzlermehrheit im Bundestag zu gefährden. Schließlich kann Rot-Grün nur acht Stimmen mehr aufbieten als die Opposition.
Doch diese Erpressung wird nicht funktionieren, weil Schröder mit einer Gegen-Erpressung antworten kann – der Vertrauensfrage. Dabei ist völlig egal, ob er sie formal im Bundestag stellt oder informell in der SPD-Fraktion. Denn die Linke ist doppelt alternativlos: Sie will keine Unionsregierung, und sie hat keinen Flügelführer, der sich auch nur entfernt als Kanzlerersatz für Schröder eignen würde. Also werden die Widerständler die „Agenda 2010“ abnicken, nachdem man „Details“, so Schröder, nachverhandelt hat.
Der Kanzler sollte seinen linken „Nörglern“ dankbar sein. Ohne sie könnte er gar nicht vorführen, was für ein starker Führer er ist. Und diese neue Rolle macht ihn unterscheidbar. Denn für gelockerten Kündigungsschutz oder gekürztes Arbeitslosengeld ist auch die gesamte Konkurrenz.
ULRIKE HERRMANN