SASCHA ZASTIRAL ÜBER DAS URTEIL GEGEN DIE VERGEWALTIGER VON DELHI : Reformen statt Todesstrafe
Am Dienstag hat ein Gericht in Delhi vier der Männer für schuldig befunden, die im vergangenen Dezember eine junge Frau in einem fahrenden Bus vergewaltigt und so schwer verletzt hatten, dass sie rund zwei Wochen später starb. Am heutigen Freitag soll nun das Strafmaß verkündet werden: Den Tätern droht die Todesstrafe.
Die vielen Formen von Gewalt, denen Frauen in Indien ausgesetzt sind, haben tiefe gesellschaftliche Wurzeln. Vor allem in den ländlichen Regionen Nordindiens herrscht noch immer ein ungebrochenes Patriarchat. In manchen Regionen gibt es wegen gezielter Abtreibungen weiblicher Föten und der vielen Todesfälle, zu denen es nach Gewaltakten oder Vernachlässigungen von Frauen und Mädchen kommt, bereits heute ein Fünftel weniger Frauen als Männer.
Der nicht endenden Gewalt gegen Frauen steht jedoch kaum etwas entgegen: Indiens Staat ist dem Problem nicht gewachsen. Etwa 30 Millionen Verfahren stauen sich bei den Gerichten, tausende Richterposten sind vakant. Abschreckung ist von dieser Justiz nicht zu erwarten, drei von vier mutmaßlichen Vergewaltigern werden freigesprochen. Indiens Polizisten sind schlecht ausgebildet und oft korrupt. Das Foltern von Verdächtigen – wie sie auch die Anwälte der Vergewaltiger von Delhi nahelegen – ist an der Tagesordnung. Oft weigern sich die Beamten, Anzeigen wegen Vergewaltigungen aufzunehmen, vor allem wenn das Opfer einer unterprivilegierten Schicht angehört.
Solange Indien nicht seinen Justiz- und Sicherheitsapparat massiv reformiert, wird die endlose Gewalt gegen Frauen weitergehen. Daran wird auch ein Todesurteil gegen die Vergewaltiger von Delhi nichts ändern.