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Archiv-Artikel

SACHSEN-ANHALT ZEIGT, WOHIN EIN UNTERSCHÄTZEN DER RECHTEN FÜHRT Die Folgen der Sorglosigkeit

Der neuerliche antisemitische Übergriff in Sachsen-Anhalt war weder ein Dummejungenstreich noch ein Einzelfall. Ministerpräsident Wolfgang Böhmer hat Recht, wenn er darin vielmehr ein Zeichen für verbreiteten Rechtsradikalismus sieht. Seine Aussage, dass dieser sich „bisher noch nicht richtig fassen ließ“, erinnert indes an einen Gärtner, der jahrelang Maulwürfe graben lässt und sich dann über seinen verwüsteten Garten beklagt.

In keinem Bundesland gibt es so viele rechtsextreme Gewaltstraftaten wie in Sachsen-Anhalt. Tendenz dramatisch steigend. Dabei hätte man von Sachsen lernen können. Dort gab es einmal einen Ministerpräsidenten namens Kurt Biedenkopf, der meinte, die Sachsen seien immun gegen Rechtsradikalismus. Diese Ignoranz mündete 2004 in den Einzug der NPD in den Landtag. Und mittlerweile verfügen die Rechtsextremen im Freistaat über eine stabile Wählerbasis.

Die Parallelen zum Nachbarland sind augenfällig. Auch in Sachsen-Anhalt schien sich die schwarz-gelbe Landesregierung unter Wolfgang Böhmer in Sicherheit wiegen zu können, zumal die DVU 2002 den Wiedereinzug in den Landtag nicht schaffte. Das Aushungern des demokratiefördernden Vereins „Miteinander“ ist nur ein Beispiel für die darauffolgende Sorglosigkeit. Die zeitigt nun Folgen: Inzwischen vergeht kaum ein Tag ohne rassistische Negativschlagzeilen oder Berichte über Prozesse gegen Nazi-Schläger. Politik und Zivilcourage sind eben umso mehr gefragt in einem Bundesland, in dem 61 Prozent der Menschen Angst vor der Zukunft haben. Denn diese Angst schafft Aggressionspotenzial und öffnet die Ohren der Menschen für braune Demagogie.

Im Kampf gegen rechts führt es auch nicht weiter, wenn Kultusminister Jan-Hendrik Olbertz illusionär seine Schulhöfe sauber halten will und die Verantwortung an Familien und die große anonyme Gesellschaft delegiert. Jeder ist an seinem Platz gefragt. Dazu gehört auch der repressive „Aufstand der Zuständigen“, für den beispielsweise der Dresdner Oberstaatsanwalt Jürgen Schär bekannt geworden ist. MICHAEL BARTSCH