S-BAHN-MEDITATION : Handy und Welt
Ich sitz in der S-Bahn und schau aus dem Fenster. Neben mir sitzt einer und schaut auf sein Handy. Keinen Augenblick lässt er das Ding aus den Augen. Ich verstehe das nicht, ich finde die echte Welt spannender, aber na ja. Soll er. Ich schau weiter aus dem Fenster, der neben mir auf sein Handy. Wir fahren so einträchtig nebeneinander, als mir plötzlich auffällt, dass der neben mir piept. Also, jetzt nicht persönlich und so, von wegen Vogel haben; es piept eher aus Richtung seiner Hände, da, wo das Handy ist. Das Handy piept.
Einen Moment bin ich erschrocken, denk an Bombe und so. Denk ich sonst nie, aber wir sind gerade im Hauptbahnhof, und wenn man da aus dem Fenster guckt, liest man ganz groß „Bombardier“, in meterhohen Buchstaben quer auf die Überdachung des Bahnsteigs geschrieben. Klingt wie ’ne Aufforderung, ist aber Werbung. Fehlt bloß noch, dass sie jetzt durchsagen, man soll auf Koffer aufpassen, besonders auf fremde, aber das tun sie nicht, und sowieso: Der mit dem Handy hat nur sein Handy. Und das explodiert auch nicht, sondern piepst einfach weiter. Und weil es so piepst, finde ich’s jetzt doch spannend, spannender als den Bahnsteig da draußen, die Leute, die Welt.
Ich beuge mich rüber und gucke. Der mit dem Handy merkt das nicht; er ist weiter in sein Piepsen vertieft und ich plötzlich auch. Ist schon faszinierend, finde ich: auf dem Display nichts als ein Stadtplan und darauf ein Punkt, der sich piepsend bewegt. Bei jedem Pieps ein Stück weiter. Pieps, schon halb im Tiergarten. Ich schaue kurz hoch – Tiergarten, stimmt. Pieps. Immer noch Tiergarten. Pieps. Bisschen Spree. Pieps. Großer Stern. Einträchtig sitzen wir wieder nebeneinander, der mit dem Handy und ich. Wir schauen, er auf sein Handy und ich auf sein Handy und dann hoch auf die Welt. Handy, pieps, Welt. Bin schon lange nicht mehr so meditativ S-Bahn gefahren. JOEY JUSCHKA