Russisch sprechen mit Vorbehalt : Sprache als Form des Widerstands
Im ukrainischen Restaurant auf Russisch bestellen? Unsere Autorin ist Kind russischer Eltern und fühlt sich verpflichtet, ihre Position gegenüber Ukrainer:innen deutlich zu machen. Sprache spielt dabei eine entscheidende Rolle.
taz lab, 17.02.2023 | Vor einigen Tagen speiste ich in einem ukrainischen Restaurant. Zunächst traute ich mich nicht, auf Russisch zu bestellen, weil ich meine Sprache, die zugleich die Sprache der Invasoren und Terroristen ist, nicht der ukrainischen Bedienung aufdrücken wollte.
Als ich sie jedoch an einem anderen Tisch Russisch sprechen hörte, wechselte auch ich vorsichtig ins Russische mit ihr. Am Ende hielten wir einen netten Plausch, sie kam aus der Stadt Tschernywzy und fragte mich nach meiner Herkunft. Ich nannte Moskau, schob aber sofort hinterher, dass ich die Ukraine in allen Hinsichten unterstütze. Die Frau freute sich.
Anastasia Tikhomirova, Jahrgang 1999, ist freie Journalistin, Kulturwissenschaftlerin, Moderatorin und macht ihren Master in Osteuropastudien und interdisziplinärer Antisemitismusforschung in Berlin.
Foto: Mia Alvizuri Sommerfeld
Ich empfinde es als Pflichtgefühl, meine Position gegenüber Ukrainer:innen deutlich zu machen. Ich, die als Kind russischer Eltern in Deutschland geboren und aufgewachsen bin, und über beide Pässe verfüge, spüre eine klare Verantwortung, die meine Sprache und Kultur mit sich bringen. Viele Russ:innen, darunter auch liberale und oppositionelle, tun das nicht.
Englisch statt Russisch mit ukrainischen Freund:innen
Sprache ist ein Politikum, besonders in diesem Krieg. Viele meiner ukrainischen Freund:innen haben seit der Invasion damit aufgehört Russisch zu sprechen, wir unterhalten uns nur noch auf Englisch oder Deutsch und das ist gut so. Die ukrainische Sprache zu sprechen ist eine Form des Widerstandes, gegen den russischen, seit Jahrhunderten andauernden Imperialismus.
Jedes Mal, wenn ich eine freundliche Begegnung mit einer ukrainischen Person erlebe – und davon gibt es viele–, könnte ich vor Rührung in Tränen ausbrechen. Ich bin erstaunt ob der Menschlichkeit und gar Dankbarkeit, die diese Leute mir und anderen russischen Kriegsgegner:innen gegenüber an den Tag legen, während unsere Staatsgenossen seit neun Jahren ihre Heimat bombardieren.
Ich möchte, neben meinem bisherigen Engagement für die Ukraine, noch etwas zurückgeben: Im nächsten Semester fange ich an, Ukrainisch zu lernen, damit wir uns noch besser verständigen können.
An dieser Stelle schreiben unsere Autor*innen wöchentlich über Zukunft und Zuversicht.
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