Rumänisches Kino-Drama: Leben unter der Glasglocke
"Vier Monate, drei Wochen und zwei Tage" erzählt von einer Abtreibung im Rumänien Ceauescus. Regisseur Cristian Mungiu bekam dafür die goldene Palme.
Sie ist einfach da, diese Stickigkeit. Überall hat sie sich breitgemacht, mit perfider Selbstverständlichkeit. Im kargen Studentenzimmer, das sich Otilia und Gabita teilen. In den endlosen, neonbeleuchteten Fluren der Universität. Sie findet sich im gemütlich eingerichteten Wohnzimmer der kleinen Wohnung, in der Otilia mit den Eltern des Freundes feiert. Auf den Straßen Bukarests liegt sie wie ein seltsamer Grauschleier über dem Verkehr und den Gebäuden.
Christian Mungius Film spielt im Rumänien des Jahres 1987. Schon mit der ersten Einstellung lässt der junge Regisseur das Lebensgefühl der letzten Ceausescu-Jahre wiederauferstehen. Er zeigt ein Leben unter der Glasglocke, eine Welt, in der man nicht zu Hause sein kann. Bestenfalls kann man sich darin einrichten. So wie die Studentinnen Otilia und Gabita. Zu Beginn verharrt die Kamera auf den wenigen Habseligkeiten, mit denen die jungen Frauen der Tristesse ihrer Umgebung trotzen wollen. Da ist der Goldfisch auf dem Tisch mit der hässlichen Plastikdecke. Die Fotos an den Wänden. Die volle Milchflasche am Fenster. All das ergibt ein Stillleben über den Versuch, das Beste aus der Situation zu machen. Wenn Otilia durch beige-braune Flure zu den traurig-gelb gekachelten Baderäumen schlurft, meint man den beißend scharfen Geruch sozialistischer Reinigungsmittel zu riechen. Auf dem Rückweg schaut sie im Zimmer eines Kommilitonen vorbei, der Westzigaretten verkauft.
Aber "Vier Monate, drei Wochen und zwei Tage" ist nicht einfach nur die Abrechnung mit einer untergegangenen Ideologie und Epoche. Es ist ein Film, den man nicht mehr los wird, weil seine Bilder sich in unser Gedächtnis senken. Gerade in seiner Sachlichkeit und Nüchternheit entwickelt er eine emotionale Wucht, die den Zuschauer weder überwältigt noch überrollt, sondern nur gebannt auf die Leinwand starren lässt. Auf den diesjährigen Filmfestspielen in Cannes wurde Christian Mungius Film völlig zu Recht mit der Goldenen Palme ausgezeichnet.
"Vier Monate, drei Wochen und zwei Tage" ist die Chronik einer illegalen Abtreibung. Er wirft all die moralischen und ethischen Fragen auf, die zu stellen seine Heldinnen keine Möglichkeit haben. Zu sehr sind sie mit der praktischen Organisation des Eingriffs beschäftigt. Minutiös werden die einzelnen Etappen registriert: das Leihen des Geldes, das Mieten des Hotelzimmers, das erste Treffen mit dem Engelmacher, das Auspacken der medizinischen Instrumente, die Einführung der Sonde.
Wie ein Schatten liegt die Illegalität der Abtreibung über jedem Bild. Die drohende Bestrafung schwingt in den Passkontrollen mit, liegt in den misstrauischen Blicken der Milizionäre, in den Schikanen der sozialistischen Hotelbürokratie. Das zähe und unangenehme Gespräch mit der uniformierten Rezeptionistin über Preise, Dauer und Grund des Aufenthalts zeigt Mungiu ohne einen einzigen Schnitt in seiner gesamten quälenden Länge. Immer wieder wird er mit solchen totalitären Totalen arbeiten. Totalitär, weil ihnen nichts entgeht. Weil in ihnen das Echo einer Politik nachhallt, in der Einzelne keine Rolle spielen. Je konkreter diese Tragödie wird, desto mehr wird sie auch zur Parabel.
Mungius Film handelt auch von den sozialen Prägungen eines Frauenbildes. Von einer Gesellschaft, die Frauen zu Ingenieurinnen macht, ihnen aber das Recht über den eigenen Körper verweigert. Von einer Politik, die Abtreibungen nicht aus ethischen Gründen verbietet, sondern die Geburtenrate erhöhen will. Wenn Otilia mit ihrem Freund über die Abtreibung der Freundin spricht, kommt im Disput der beiden das Rollenverständnis einer Gesellschaft zum Vorschein, in der Verhütung und Schwangerschaft allein auf den Schultern der Frauen lasten.
Nach und nach erschließt sich die ganze Dimension ihres Ausgeliefertseins. Weil Otilia und Gabita nicht genug Geld für den Eingriff auftreiben konnten, zwingt der Engelmacher sie zum Sex. Nach der Abtreibung liegt Gabita allein im Hotelzimmer, weil Otilia sich verpflichtet fühlt, zum Geburtstag der Mutter ihres Freundes zu gehen. Mit leerem Gesicht sitzt die Frau in angeheiterter Runde. "Vier Monate, drei Wochen und zwei Tage" stellt sich seinem Thema bis zur letzten Konsequenz und führt es in all seinen Facetten aus. Dabei überlässt er dem Zuschauer Bilder und Szenen, die er ganz allein, ohne moralische oder emotionale Gebrauchsanweisung mit aus dem Kino nehmen muss.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!