Rufus Wainwright & Daft Punk: Der Judy-Garland-Moment
Judy Garland ist auferstanden. Und zwar durch den "Gay Messiah" Rufus Wainwright. Daft Punk bringen ihr Alive-Spektakel zwar nicht auf DVD, dafür aber als Live-CD heraus.
Die Gesetze des Geschäfts verlangen stets nach der größten denkbare Geste.Theres no business like show business. Blöd nur, dass eine lange zurückliegende Nacht, nämlich die des 23. April 1961, nach wie vor als die größte des Show Business gilt, ever. Damals stand Judy Garland auf der Bühne der New Yorker Carnegie Hall. Die gefallene Hollywood-Diva schwang sich vor einer Kulisse aus kaputten Ehen und Familienzwist, Hepatitis sowie Aufputsch- und Schlafmittelsucht zu einer epochalen Performance empor. Der Mitschnitt des Konzerts ist Legende, Garland seither eine Ikone der Gay Culture.
Über 45 Jahre später, am 15. Juni 2006, stand an selber Stelle Rufus Wainwright und sang dieselben Songs. Er ließ die goldene Ära von Hollywood und Broadway durch Kompositionen von George Gershwin oder Harold Arlen wiederauferstehen. Schöne heile Welt der Illusionen? Ja, auch. Aber gebrochen durch die eigene Biografie, durch den Camp eines exaltierten, stilbewussten und offen schwulen Sängers. Es ist der nun veröffentlichten Aufnahme "Rufus Does Judy At Carnegie Hall" anzuhören, wie Wainwright, ein Orchester im Rücken, Mitglieder seiner Familie und eine Tochter Garlands als Unterstützung zur Seite, seinen Garland-Moment genießt. Überflüssig zu erwähnen, dass die Abfolge der Songs eingehalten wird und das Plakat aussah wie das von Garland 1961 mitsamt der Zuschreibung "Worlds Greatest Entertainer". Als solche galt die Garland zu ihrer Zeit, und auch Wainwright wollte noch unlängst erklärtermaßen der größte Popstar werden. Nun wohl nicht mehr. Denn die Hommage an sein Idol markiert einen freiwilligen Rückzug in Nostalgie und Künstlichkeit.
Allein schon für seinen Mut und den Willen zur großen Geste gehört Rufus Wainwright gefeiert. Das Unternehmen war gewagt, da er trotz seiner Stimmgewalt und Inszenierungskunst an Garlands Vorbild nur scheitern konnte. Interpretation spielt hier aber gar keine Rolle mehr. Es geht vielmehr um die Sehnsucht nach Verwandlung, um Wainwrights Wiedergeburt als Judy Garland. Und souveräner als in der Nacht des 15. Juni 2006 wird das kaum wieder hinzukriegen sein, ever.
Auch Daft Punk verstehen sich auf große Gesten. Wenn das Pariser Elektronikduo am Filter schraubt und seine Gassenhauer-Samples abfeuert, steht das Publikum Kopf. Trotzdem: Eine DVD hätte es für "Alive" auch getan. Als Daft Punk in den vergangenen Monaten mit ihrer Live-Show rund um den Globus zogen, überzeugten sie mit einem sekundengenau auf ihre Hits abgestimmten Lichtspektakel. Tausende LEDs, knallbunte Projektionen und mittendrin eine leuchtende Pyramide, in der zwei Maschinenmenschen einige Knöpfe drückten - eine derart visuell orientierte Show sollte man am besten auf einem riesigen Plasmabildschirm konsumieren.
Nun aber liefern Daft Punk dieses Spektakel nicht etwa für die Heimkino-Surround-Anlage ab. Der visuelle Part der Show wurde getrost dem Gedächtnis tausender Handykameras auf YouTube überantwortet. Das Duo bemüht mit "Alive 2007" im Gegenteil das Uralt-Rockformat schlechthin, scheppriger Sound und Publikumskreischen inklusive. Und genau daraus zieht dieses Live-Album seine so groteske wie grandiose Spannung. Ausgerechnet die wohl künstlichste Band der Welt klotzt nun mit einem Standard des Muckertums. Dabei ist nach wie vor nicht klar, ob die beiden auf Tour in ihrer Pyramide je mehr gemacht haben, als einmal auf "Play" zu drücken, um all ihre Tracks zu einem einzigen, unwiderstehlichen Hit-Feuerwerk zu verschmelzen.
Daft Punk perfektionieren damit jene Königsdisziplin des Populären, die schon Judy Garland und nach ihr Rufus Wainwright zelebrierten: das Medley. So bringen diese beiden Alben die große Sehnsucht auf die Bühne, deretwegen auch das Publikum in die Konzerthallen pilgert: danach für zwei Stunden jemand anders sein zu dürfen.
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