Rückendeckung für Israels Armee: Im Schutz der „Patriots“
■ Mit der Abwehrrakete „Patriot“ können sich die Israelis gegen irakische Angriffe wirksam schützen. Allerdings beinhaltet die elektronische Rückendeckung aus Washington auch die Möglichkeit, aus gut geschützter Position den Irak anzugreifen.
Als Curfew de luxe, als Ausgangssperre der ganz besonderen Art, bezeichnen die Bewohner Tel Avivs und Umgebung den derzeitigen Zustand in Israel, denn normales Leben ist seit gut einer Woche nicht mehr möglich. Nur selten fuhr am Sonntag ein Auto durch die menschenleeren Straßen, das öffentliche und Geschäftsleben ruhte, und die Schulen bleiben weiterhin geschlossen. Die Bevölkerung, soweit sie die Stadt noch nicht verlassen und sich auf dem Land in Sicherheit gebracht hat, wurde weiterhin aufgefordert, ihre Häuser nicht zu verlassen und sich bei Alarm sofort in ihre separaten, gegen Gasangriffe abgedichteten Zimmer zu begeben.
Beim zweiten irakischen Raketenangriff, Samstag in den frühen Morgenstunden, hatte die Bevölkerung bereits Routine; nach dreimaligem Fehlalarm in der Nacht rannte man in die Schutzzimmer, und ehe man sich die Gasmaske übers Gesicht gezogen hatte, krachte es auch schon. Eine halbe Stunde später gab der Rundfunk bekannt, daß es sich auch diesmal um einen Angriff mit „konventionellem Sprengsatz“ gehandelt habe. Auch bei diesem Angriff hat es vor allem Sachschäden gegeben. Etwa 500 Häuser wurden beschädigt. Es war reiner Zufall, daß bei dem Angriff nur 30 Personen leicht verletzt wurden; gerade in den Armenvierteln von Tel Aviv, wo es die meisten Einschläge gab, fehlen Luftschutzbunker fast gänzlich.
Die strikte Einhaltung einer vom Militär verhängten Zensur verhinderte bisher eine exakte Berichterstattung über die Zahl der Raketen und Treffer. Die Armeeführung befürchtet, daß eine Bekanntgabe von Einzelheiten dem Gegner Hinweise auf Treffsicherheit und Wirkung seiner Angriffe liefern könnte.
Die Bewohner Tel Avivs und anderer Städte, die noch nicht aufs Land gefahren sind, werden allmählich ungeduldig. Viele fragen sich, wie lange das noch so weitergehen soll; sie wissen, daß Israel über die Mittel für einen gewaltigen Gegenschlag verfügt und sehen nicht ein, „warum sich Israel diesen Raketenterror aus Bagdad gefallen lassen muß“. Sie fordern sofortige Vergeltungsschläge — nicht zuletzt aus Angst, Saddam Hussein könnte doch noch über ein Potential verfügen, Giftgasgranaten gegen Israel einzusetzen.
Ungeduldig sind die Israelis vor allem, weil man genau weiß, daß ihre Zurückhaltung von Washington nur erzwungen wurde, damit die bisher stabile antiirakische Allianz durch einen israelischen Kriegseintritt nicht auseinanderbricht. In Israel wird jetzt darauf hingewiesen, daß Ägypten bereits offiziell bekanntgegeben habe, einen israelischen Angriff zu tolerieren, und auch im Falle Syriens war das zuvor angekündigte Ausscheren am Samstag nicht mehr so eindeutig. Jordanien schließlich will sich im Falle eines Krieges zwischen Israel und dem Irak „neutral“ verhalten. Und wenn man schon versprochen habe, selbst keinen Angriffskrieg zu führen, warum ist es denn nicht wenigstens der eigenen Luftabwehr gelungen, die irakischen Raketen zu treffen? Bisher hieß es, es habe keine effektiven Abwehrsysteme gegeben.
Seit gestern verfügt die israelische Armee über mehrere Batterien von „Patriot“-Raketenabwehrraketen US-amerikanischer Herstellung, die das Pentagon in einer Blitzaktion noch am Samstag nach Israel hatte einfliegen lassen. Die „Patriot“ ist eine Langstrecken-Boden-Luft-Rakete, die extrem gut zu steuern ist und dessen Trefferquote bei 80 Prozent liegen soll. Das System soll in der Lage sein, die irakischen Scud- B-Raketen noch in der Luft abzufangen und zu zerstören (s. Kasten). Im israelischen Fernsehen war zu sehen, wie israelische und amerikanische Soldaten im Kampfanzug die Raketen aus einem Transportflugzeug ausluden. Die erste der zwei bereits seit Dezember in Israel stationierten „Patriot“-Raketen war mit Hilfe von US-Spezialisten in wenigen Stunden einsatzbereit und wird erstmals gemeinsam mit israelischen Soldaten bedient. Indem Israel jetzt über eine derart effektive Schutzwaffe verfüge, werde die Armee vermutlich auf einen Vergeltungsschlag gegen den Irak verzichten, so ein hoher Beamter des israelischen Verteidigungsministeriums, um die Allianz mit den arabischen Staaten nicht zu belasten. Nach wie vor behalte sich aber seine Regierung das Recht vor, militärisch zu reagieren. Die Lieferung der „Patriot“-Raketen sei keinesfalls an die Bedingung geknüpft, auf einen Angriff zu verzichten.
Am Sonntag traf der stellvertretende Außenminister der USA, Lawrence Eagleburger, in Jerusalem zu weiteren Geheimgesprächen mit Ministerpräsident Schamir zusammen. Thema der Gespräche sollten die Maßnahmen sein, mit denen Israel seine militärische Glaubwürdigkeit und die Sicherheit seiner Bevölkerung gewährleisten kann, ohne mit der amerikanischen Kriegsstrategie zu kollidieren. Amos Wollin, Tel Aviv
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