Rote Bete Putzmittel: Sie nannte es Beeta

Ilona Parsch war Putzfrau. Sie reagierte empfindlich auf die scharfen Mittel der Chemieindustrie. Ihr Ersatz: Rote Bete.

Aufgeschnittene Knollen in besonderen Farben. Bild: dpa

DEUTSCHLAND zeo2 | Erfinderin und Unternehmerin zu werden hatte Ilona Parsch nie geplant. Zu DDR-Zeiten leitete sie einen Dorfkonsum im Dörfchen Sanitz bei Rostock. Und war sehr zufrieden damit. Dann kam die Wende, Job und Mann gingen verloren und sie stand alleine da: arbeitslos, alleinerziehend. Sie ergatterte eine Putzstelle der Zweigstelle einer westdeutschen Firma in Rostock, das gefiel ihr nicht schlecht. Nur eines störte sie: Von den scharfen Putzmitteln bekam sie Ausschlag im Gesicht und an den Händen. Auch mehreren Kolleginnen ging das so.

Es dauerte nicht lange, bis die Chefs in Westdeutschland entschieden, die Dependance wieder dicht zu machen: Dienstleistungen in einer zusammenbrechenden Wirtschaft anbieten, das erschien ihnen nicht lukrativ genug. Alles sah danach aus, dass Ilona Parsch sich in das wachsende Heer der ostdeutschen Arbeitslosen eingliedern müsste – doch dazu hatte sie keine Lust. Deshalb fragte sie ein paar Kunden, ob sie und ihre Kolleginnen nicht weitermachen könnten. Sie wechselte die Seite und wurde Arbeitgeberin.

„Putzen nach Hausfrauenart”

Das lief eine Weile, bis ihr die Industrie- und Handelskammer mitteilte, dass „Putzen nach Hausfrauenart“ für eine professionelle Reinigungsfirma nicht mehr ausreiche und sie eine Meisterausbildung im Gebäudereinigerhandwerk machen müsse – ansonsten sei man leider gezwungen, ihren Betrieb dicht zu machen. An den Wochenenden absolvierte sie die notwendigen Kurse und abends büffelte sie. Das ist nicht einfach, wenn man tagsüber putzen und den Laden am Laufen halten muss. Und außerdem noch zwei Kinder großzieht.

Doch die Nachbarin guckte öfters vorbei, wenn die Söhne allein zu Hause waren und Ilona Parsch sah das Ganze auch als Chance. Vor allem ihren Chemiedozenten löcherte sie mit Fragen. Sie wollte wissen, welche Reinigungsmittel denn weniger aggressiv für die Haut seien – schließlich litten sie und viele ihrer Angestellten an Allergien und da müsse es doch auch was geben, was nicht so ungesund sei. Doch der Lehrer fand, dass die modernen Hygienestandards ausschließlich mit den Segnungen aus den Häusern Bayer, Henkel und Co zu erfüllen seien. Ohne Oxalsäure ginge es einfach nicht, beschied er.

Der Farbstoff verblasst

Oxalsäure ist in sehr vielen Putzmitteln enthalten und wird mit Chlor und anderen Giftstoffen hergestellt. Allerdings kommt die Substanz auch in vielen Pflanzen vor, fand Ilona Parsch heraus. In der Bücherei wurde sie fündig: Die höchste natürliche Konzentration ist in Rhabarber enthalten. Ilona Parsch begann zu experimentieren, zerstampfte, zerquetschte und pürierte Stiele und Blätter und kippte den sauren Saft bei sich zu Haus ins Putzwasser. Das Ergebnis war überzeugend: Alles wurde sauber, und auch hartnäckige Flecken ließen sich auf diese Weise entfernen.

Der Besuch beim Patentinformationszentrum in Rostock förderte dann aber Enttäuschendes zutage: In einem urheberrechtlich geschützten Reinigungsmittel der Firma Henkel ist ebenfalls Rhabarbersaft enthalten. Mit der Rechtsabteilung eines solchen Unternehmens wollte sich Ilona Parsch lieber nicht anlegen und so bat sie die Patentamtsmitarbeiter zu recherchieren, welche der oxalhaltigen Pflanzen auf ihrer Liste bisher noch nicht verwendet wurden. Bald stand fest: Bei Roten Beten war offenbar noch niemand auf den Gedanken gekommen. Ilona Parsch entdeckte, dass der Farbstoff aus dem Knollensaft im Sonnenlicht schnell verblasst und dann die Farbe von Rosewein annimmt.

Auch ihre neuerliche Putzversuchsreihe verlief ausgesprochen zufriedenstellend. Sie ergänzte noch einige natürliche Stoffe und sprach dann mit ihren Auftraggebern: Die waren einverstanden, dass Ilona Parsch ihr selbst entwickeltes Reinigungsmittel einsetzte – sofern alles wirklich sauber würde. Weil auch Laborräume der Universität zu den Wirkungsstätten von Ilona Parschs Firma zählen, war das leicht festzustellen: Es gab nichts zu beanstanden.

Mit den roten Augen und der juckenden Haut bei ihr und ihren Kolleginnen war jetzt tatsächlich Schluss. Und das selbst gebraute Mittel ist auch noch als deutlich günstiger als die Produkte, die Ilona Parsch vorher einkaufen musste. 100 bis 200 Liter Saft benötigte sie im Jahr; die roten Knollen bestellte sie bei einem Bauern in der Nähe. Wie zuvor mixte sie die Ingredienzien bei sich zu Hause zusammen.

Vorträge in Hauswirtschaft

Inzwischen hatte ihr älterer Sohn Thomas angefangen, Wirtschaftsingenieurwesen zu studieren. Irgendwann erzählte er einem Professor stolz von der inzwischen patentierten Erfindung seiner Mutter – und so zog die Nachricht Kreise. Ein erster Artikel über Ilona Parsch erschien in einer Zeitung und bald darauf wurde sie zu Vorträgen in Hauswirtschaftsschulen eingeladen.

Derweil nutzte Thomas Parsch nach dem Examen seine einjährige Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter, um die Rezeptur weiter zu verfeinern. Im Schuppen neben dem Wohnhaus seiner Mutter begann er mit der Herstellung im größeren Stil und machte sich schließlich selbständig. Seither gibt es das Produkt im Handel. Sie nannten es Beeta. Und mittlerweile besteht die Marke nicht mehr nur aus dem Universalreiniger, sondern auch aus Wasch- und Spülmitteln.

Nach wie vor füllt Thomas Parsch die Flüssigkeiten selbst ab, organisiert den Internetvertrieb und die Lieferungen an die Weiterverkäufer. Folgt nach der Tank-statt-Teller Debatte jetzt die Putzeimer- statt-Rohkost-Schlacht? Die 25 Tonnen Rote Bete, die Thomas Parsch vor drei Jahren orderte, sind immer noch nicht vollständig aufgebraucht. Und für einen wie Stefan Zimmermann, der die Bete als Demeterhändler an die Parschs geliefert hat, sind 25 Tonnen keine große Sache: Gerade einmal zwei Drittel Hektar Fläche braucht ein Biobauer, um die Menge zu erzeugen.

Eine Konkurrenz zur Lebensmittelproduktion sieht Zimmermann darum nicht. Im Gegenteil: In Norddeutschland werden die roten Knollen nur mäßig süß, und die Bauern haben deshalb kaum eine Chance, sie als Gemüse zu verkaufen. Da käme ein Aufschwung durch das Putzmittel gerade recht.

Jean Pütz vertreibt Beeta bundesweit

Ilona Parsch ist inzwischen 60 Jahre alt und ihr Beeta gibt es inzwischen bei etlichen Öko- Versendern wie Waschbär, im Internetvertrieb, bei Bioläden und Qualitätsanbietern wie Manufactum. Auch Jean Pütz, das kölsche TV-Original und ein Pionier für selbstgemachte Waschmittel, vertreibt das Putzmittel bundesweit. Und auf dem Arktis-Expeditionsschiff MS Polarstar ist es ebenfalls im Einsatz. Ihr Sohn exportiert das Mittel bis nach Ungarn und trifft sich auch schon mal mit Chinesen. Aber die wollten nur die Rezeptur.

Frau Parsch ist froh, nicht mehr auf Putzmittel-Vertreter angewiesen zu sein. Vor kurzem war sie mal wieder auf einer Messe: Immer Neues und noch mehr Neues wird dort präsentiert, werden Schmutz- und Schutzfilme beschworen und Grund- und Pflegemittel für alle erdenklichen Einsatzgebiete angepriesen. In Ilona Parschs Putzeimer kommen dagegen nach wie vor nur ein paar Spritzer Beeta. Das ist nicht nur billiger. Es hat auch noch niemand allergisch darauf reagiert.

Annette Jensen, den Artikel können Sie gerne auf unserer Facebook-Seite diskutieren. Der Text ist erschienen in der Ausgabe zeo2 1/2014.