■ Rot-Grün in Kiel ist schon dann ein Erfolg, wenn es überlebt: Artigkeiten und Eitelkeiten
Ohne ein paar Artigkeiten kommen politische Verhandlungen offenbar nicht mehr aus. Selbst Heide Simonis unterwarf sich der Gepflogenheit, erst einmal den potentiellen Bündnispartner über ein Geschenk gewogen zu stimmen. Antoine de Saint-Exupérys „Der kleine Prinz“ überreichte sie den grünen Delegierten vor den Koalitionsgesprächen. Von diesen den Medien hingehaltenen Showteilen abgesehen, dominiert ein unterkühlter Politikstil, der seitens der SPD angenehm auf Eitelkeiten verzichtet: Simonis weiß offenbar – und die Grünen werden es lernen müssen –, daß ein rot-grünes Bündnis allein schon deshalb ein Erfolg würde, wenn es denn über die volle Legislaturperiode existierte, und zwar auch dann, wenn die Grünen keine einzige ihrer programmatischen Herzensanliegen durchgesetzt haben sollten.
In diesem Sinne wäre es für die Grünen fatal, von der SPD in Kiel vor jeder gemeinsamen Praxis eine Politik einzufordern, die schlicht so tut, als lebte man noch Anfang der achtziger Jahre. Vor jedem Bündnis laut hinauszuposaunen, man wolle dies erreichen und möchte jenes verhindern, erinnert erstens unangenehm an die Klientelpolitik, die die FDP just zelebriert, und verhindert zweitens einen Erfolg einer Strategie, die Mühe aufwendet, Politik nicht nur als eine für die eigene Stammkundschaft zu inszenieren. Kindisch also, selbstverliebt und besoffen von den erreichten Wählerprozenten, den Intimus Simonis', den Liberalen Klaus Gärtner, vom Verhandlungstisch zu weisen, weil der der SPD nicht angehört: Das macht, nun ja, nicht wirklich fröhlich.
Gelänge es den Grünen nur, vier Jahre lang eine Westerwellisierung der schleswig-holsteinischen Politik zu verhinden, wäre dies grandios. Denn auch zwischen Hamburg und der dänischen Grenze geht es in den kommenden Jahren weniger um Autobahnerweiterungen oder sonstigen Biotopschutz, als vielmehr darum, eine Politik zu entwickeln, die sich eisenhart der Verarmung weiter Teile der Bevölkerung entgegenstellt und die auch Teile des liberalen Bürgertums motiviert, wieder mehr auf Solidarität zu achten.
Simonis gilt als eitel, was sie aber nicht ist. Sie will den Erfolg gegen den Kohlschen Mainstream, natürlich einen sozialdemokratischen Erfolg, einen ökologisch aufgeklärten zudem. Das muß den Grünen reichen – zumal sie nicht gerade aus einer Position der Stärke heraus agieren. Es reicht, wenn es hernach hieße, sie hätten das Schlimmste verhindert. Ihre erste Legislaturperiode in Kiel bliebe sonst auch die letzte, und zwar zu Recht. Jan Feddersen
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