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RomanDunst über der Biscaya

Mensch, klingst du geschichtspessimistisch: Raul Zelik verbrämt in "Der bewaffnete Freund" Kreuzberger Szene-Nachdenklichkeit als Kritik und verklärt den ETA-Militarismus.

Vergangene Zeiten und jetzige Kämpfe: sowohl in Raul Zeliks Buch als auch in den Städten des Baskenlands ständig Thema Bild: reuters/vincent west

Raul Zelik hat ein Faible für die harten politischen Stoffe. In Sachbüchern beschäftigte sich der 39-jährige, in Berlin lebende Autor mit dem Guerillakampf in Kolumbien oder dem Aufstieg von Hugo Chávez in Venezuela. Seine Romane siedeln im Berliner Antifa-Milieu oder zwischen illegalen Arbeitsmigranten. Nun folgt mit "Der bewaffnete Freund" die erzählerische Bearbeitung des bewaffneten Kampfs im Baskenland. Ein ambitioniertes literarisches Unterfangen, das der Autor frontal angeht: Er lässt einen deutschen Wissenschaftler mit einem Forschungsauftrag nach Bilbao reisen, der früheren baskischen Industriemetropole an der Atlantikküste. Der Deutsche wird dort nach zwanzig Jahren wieder in Kontakt mit einem früheren Freund treten, der ein führender Kopf der ETA sein soll. Und alte Freundschaft rostet nicht: Der Deutsche fährt den Basken durchs Land, dabei reden sie über vergangene Zeiten und jetzige Kämpfe.

Zelik hat sich häufig in Spanien, dem Baskenland und Südamerika aufgehalten. Die Eindrücke seiner Reisen bilden das atmosphärische Gerüst für den Roman. Es sind kleine, naturalistisch anmutende Beobachtungen - der Dunst der Atlantikküste, das matte Schimmern des Asphalts, das vom gekühlten Rotwein beschlagene Glas -, die mit touristisch-soziologischen Metakommentaren wechseln - die Küste vor Tarifa, die illegale Migration aus Nordafrika, die Hubschrauber der Polizei, das spanische Zwangssystem. Assoziationsketten und literarische Konstruktion sind relativ homogen, alle Einordnungen und Bewertungen der Geschehnisse erfolgen aus der Zentralperspektive des deutschen Reisenden.

Dabei entwirft Zelik eine an sich und der Welt zweifelnde Hauptfigur, die im Falle des baskisch-spanischen Konflikts aber durchaus deutlich Partei ergreifen kann. Die Erzählung stellt der folternden spanischen Zentralmacht auch nach Franco eine bäuerlich-proletarische baskische Bewegung entgegen, "linksradikal" und freiheitsliebend. Der Reisende aus Berlin-Kreuzberg bekommt viel Platz zum Monologisieren. Andere Romanfiguren hingegen treten auf und treten ab und sind literarisch kaum konturiert.

Die Nebenpersonen werfen ab und an kritisch klingende Anmerkungen ein wie: Mensch, klingst du heute wieder mal geschichtspessimistisch. Zeliks Held wird dennoch weiter hauptsächlich seine Linien durch den Roman ziehen, von der Kontinuität der Diktatur zur Demokratie, von spanischen Fernfahrern zu Landpuffs und zur EU-Außengrenze. Dazwischen Rückblenden aufs Kreuzberger Szeneleben, politisch-korrektes Babybaden und Schwulsein. Die eingestreuten Nachdenklichkeiten evozieren keinerlei Disput. Die Reflexivität des Autors scheint angetäuscht, es geht hier wohl eher um die Immunisierung vor Kritik.

Denn so viel ist in Zeliks Roman bald klar: Die Kritiker der ETA sind Weißwein schlürfende Fettsäcke, die sich mit Leibwächtern umgeben und die genauso den Folterkellern des Diktators Franco entsprungen sein könnten. Der Logik des Romans folgend, sind die schlimmsten Renegaten (nach den 68er-Lehrern) liberale Professoren sowie Journalisten von Zeitungen wie der El País. Diese würden unisono parastaatliche Tötungen an ETA-Leuten rechtfertigen und werden - logo - als rassistische Parteigänger Bushs im Waffengang gegen den Irak dargestellt.

Die Schrumpfperspektive des Romans auf die nachfranquistische Gesellschaft Spaniens ist beeindruckend. Was nicht ins Bild passt, wird wegretuschiert. Ob die sozialdemokratische Regierung Zapateros nach ihrem Wahlsieg 2004 eine Kampagne zur Legalisierung hunderttausender Arbeitsmigranten startete - egal. Spanier sind Rassisten. Ebenso wenig zählt die Verurteilung spanischer Sicherheitsbeamter wegen begangener Verbrechen im Anti-ETA-Kampf. "Der bewaffnete Freund" betont viel lieber "die autoritäre Gewalt des Normalzustands" und betreibt darüber die Aktualisierung und Monsterisierung spanischer Staatsverbrechen. Im Gegenzug wird so der Autobomben- und Kopfschussterror baskischer Supernationalisten relativiert.

Es ist enttäuschend, dass ein sich kritisch verstehender Geist wie Raul Zelik Demokratietheoretiker wie Jürgen Habermas literarisch veralbert, anstatt deren Gedanken ernst zu nehmen. Im Roman geistert die Frankfurter Berühmtheit als weltfremder Professorenclown "Haberkamm" durch die Gassen baskischer Städte. Als Europa-Illusionist ist er natürlich befreundet mit dem sozialdemokratischen ETA-Hasser und Rassisten-Professore Salvatore. Und so weiter. Dabei scheinen gerade die demokratietheoretische Ignoranz und die Geringschätzung humanistischer Moral auch verantwortlich für die vielen Irrtümer aufseiten der ETA. Wie sonst kann die baskische Untergrundgruppe bis heute den Übergang von der Diktatur zur Demokratie in Spanien weitgehend ignorieren? Erstaunlich, wie leicht ein deutscher Linker darüber hinwegschreibt.

Die Fortsetzung des bewaffneten Kampfs lässt sich aus der Romanperspektive locker rechtfertigen: mit der ausbleibenden Amnestie für die ETA-Kämpfer nach der Diktatur und quasi alttestamentarisch mit den begangenen Verbrechen der Staatsseite. Dies versucht der durch seine deutsche Hauptfigur sprechende Romanautor permanent glauben zu machen. Anderes auch: "Mir fällt eine Fernsehreportage ein, die ich einige Tage zuvor im Fernsehen gesehen habe. Sie berichtete von den argentinischen Müttern der Plaza de Mayo, den Verwandten der Verschwundenen, die einst den Friedensnobelpreis erhalten haben. Dass Vertreterinnen der argentinischen Mütter regelmäßig nach Europa kommen, um sich mit Angehörigen in der Region Bilbao zu solidarisieren, wurde in der Reportage nicht erwähnt. Auch nicht, dass die Verschwundenen in Argentinien einst aus dem gleichen Grund verfolgt worden sind wie Zubieta und seine Leute: als Terroristen."

Eine winzige Kleinigkeit ist dem Schriftsteller dabei leider entgangen: Im Gegensatz zur baskischen ETA verbuddelte die argentinische Linke nach Ende der Militärdiktatur ihre Waffen und agiert seither strikt im demokratischen Rahmen. Wenn schon, dann wären sie also ein erwähnenswertes Gegenbeispiel zur sektiererischen ETA-Ideologie - und das auch, wenn eine orthodoxe Fraktion der Mütter der Plaza de Mayo rhetorisch noch auf dem Pfad des Weltklassenkampfs wandeln sollte.

Rätselhaft sind auch Zeliks Bezüge auf die baskische Sprachtradition und den deutschen Popjournalismus. Die baskische Sprache ist längst erlaubt und die von ihm zitierten Dietmar Dath, Thomas Meinecke oder Diedrich Diederichsen in Deutschland anerkannte Popgrößen. Aber was soll Popdenken, das nicht zuletzt auf Mehrdeutigkeit und Antiessenzialismus beruht, mit den Identitätskonzepten des völkisch-baskischen Antiimperialismus verbinden? Etwa das: "Namenlose Freunde, die aus Liebe so viel gegeben haben. Die ohne Vorteil so viel aufgegeben haben. Was verändert sich, die Welt oder man selbst, der Verstand oder die Begierde? Fühlen sie sich abends schuldig oder nicht? Ich würde gerne in dem Riss der Jahre ihrem Leben nachspüren. Ihrem stillen Leben, dem der herumirrenden Freunde, ihrem einzigen Leben?" Mit solchen von Ruper Ordorika geborgten Zeilen eröffnet "Der bewaffnete Freund". Nichts gegen Kitsch, aber das ist nicht Pop-, sondern Agit-Prop-Literatur. So bringt "Der bewaffnete Freund" wenig Erkenntnis darüber, mit welcher Legitimität die ETA ihren bewaffneten Kampf einst führte und bis heute fortsetzt. Oder was dazu führen könnte, dass sie ihn bald einmal einstellt.

Raul Zelik: "Der bewaffnete Freund". Blumenbar Verlag, München 2007, 287 Seiten, 18 Euro

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