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Roman von Leïla MarouaneSexleben eines Islamisten

Aus einer vierzigjährigen männlichen Jungfrau wird ein hedonistischer Libertin. Warum, das erzählt der Roman "Das sexuelle Leben eines Islamisten in Paris" nur lückenhaft.

Blondinen bevorzugt auch Mohamed Ben Mokhtar, der Protagonist des Romans. In sein Nest lockt er jedoch ausschließlich Algerierinnen. Bild: ap

Ein wenig schade ist es um den Titel. Zwar ist die Phrase "la vie sexuelle" mit "Sexleben" überaus korrekt übersetzt. Doch "Das sexuelle Leben eines Islamisten in Paris", wie dieser Roman auf Deutsch nun eben nicht heißt, hätte nicht nur weniger trashig geklungen, sondern zudem, was im Original sicherlich so beabsichtigt ist, deutlich verwiesen auf Catherine Millets Bekenntnisbestseller, der im Deutschen als "Das sexuelle Leben der Catherine M." bekannt ist. Die Ironie, die in diesem Verweis liegt, geht dabei mit verloren.

Die eigentliche Tiefendimension dieser Uneigentlichkeit wird erst zum Schluss des Romans deutlich. Schon vorher allerdings hat Mohamed, wie der titelgebende Islamist heißt, am sexuellen Leben nicht nur Freude, kommt es doch zunächst gar nicht richtig in Schwung. Wir lernen den Protagonisten als gespaltene Persönlichkeit kennen. Mohamed Ben Mokhtar, so sein ursprünglicher Name, ist eine vierzigjährige männliche Jungfrau, algerischstämmig, gut ausgebildet, ein hoch bezahlter Banker, der in Paris arbeitet, doch immer noch im Vorort Saint-Ouen bei Mama wohnt.

Dass Mohamed längst seinen Namen französiert hat und im Geschäftsleben nur als Basile Tocquard in Erscheinung tritt, ist ein ängstlich gehütetes Geheimnis, das nur seine jüngste Schwester kennt, die, da verheiratet mit einem französischen Atheisten, aus der Familie verstoßen wurde. Warum der strenggläubige Mohamed so lange keusch geblieben ist und entgegen den Wünschen der geliebten Mutter und den Forderungen des Koran nicht geheiratet hat, erfahren wir nicht; ebenso wenig, warum er vom Glauben abfiel. Eine bedauerliche inhaltliche Lücke, denn damit fehlt dem doch außergewöhnlichen Sujet "ehemaliger Islamist wird zum hedonistischen Libertin und legt sich eine Wohnung in Paris zu, um sich sexuellen Ausschweifungen hinzugeben" letztlich die erzählerische Motivation.

Denkt man sich so, je länger die Erklärungen ausbleiben. Wenn man dann ganz zum Schluss erfährt, dass diese Erzählung sich einmal komplett um sich selbst gedreht hat, ist man so verblüfft, dass man aus lauter Freude über die gelungene Überraschung dann doch auf weitere Nachfragen verzichtet. Trotzdem hätte man Mohamed gern besser verstanden.

Das Bild, das Leïla Marouane von ihrem Protagonisten entwirft, trägt karikierende, satirische Züge. Es ist wunderbar, wie das Selbstbewusstsein des spät flügge gewordenen Besserverdieners sich an seiner neuerworbenen, teuren Kaffeemaschine aufrichtet. Unzählige Tassen des edlen Selbstgebrauten wird der stolze neue Mieter einer schicken, teuren Zweizimmerwohnung im Pariser Zentrum im Laufe des Romans trinken. Der Kaffee ist das einzige, das konstant bleibt in diesem neuen Leben, in dem die Frauen sich dann doch noch die Klinke in die Hand zu geben beginnen.

Wie verhext allerdings, dass es ausschließlich Algerierinnen sind, die Mohamed kennenlernt, obwohl es sein erklärtes Ziel war, hellhäutige Französinnen in sein Nest zu locken. Die einzige Blonde in seinem Leben bleibt die Maklerin, die in Monsieur Basile Tocquard lediglich eine einträgliche Geldquelle sieht. Auch so aber beginnt Mohameds Liebesleben sich anstrengend genug zu gestalten, und so pflegt er zunehmend die Feiertage zu verschlafen, an denen er mit der Familie in die Moschee gehen sollte.

Dass aber auch mit den algerischen Liebhaberinnen, die alle in erster Linie daran interessiert sind, ihm ausführlich ihre Lebensgeschichten zu erzählen, irgend etwas nicht stimmen könnte, auf die Idee kommt man erst spät. Auch wenn die, in unterschiedlichen Kontexten, häufige Erwähnung einer Schriftstellerin namens Loubna Minbar misstrauisch stimmen sollte. Und auch wenn Mohameds unauffällige Concierge, die behauptet, Lisa Martinez zu heißen, ebenfalls dieselben Initialen wie die Autorin des Romans trägt.

Es ist ein so intelligentes wie unterhaltsames Spiel mit der Selbstreferentialität der Literatur und der Einbildungskraft, das Leïla Marouane treibt. Die im Buch erwähnten Romane der Schriftstellerin Loubna Minbar beziehen sich teilweise auf Romane von Marouane selbst. Die 1960 geborene Autorin arbeitete in Algerien als Journalistin, bis sie 1996 aus politischen Gründen nach Frankreich emigrierte.

Vor dem vorliegenden Roman veröffentlichte sie vier weitere, die sich sämtlich mit Lebensentwürfen von Frauen und mit Sexismus in der algerischen Gesellschaft beschäftigen. Und wenn sie in diesem Roman die Gegenperspektive einnimmt, so geschieht dies gleichsam nur scheinbar. Denn Mohamed, obwohl keine unsympathische Figur, bleibt doch ein Mann ohne Eigenschaften. Er ist ein bloßer Statist in den Geschichten der Frauen, die ihn umgeben, seien sie nun aus Fleisch und Blut oder aus Schall und Rauch. Die Beste aber bleibt für immer Mama.

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