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■ Roman Herzog und die einfache StaatsbürgerschaftDeutsch zu sein ist unteilbar

Die Dame war erbost: „Gehen Sie in das Land, wo Sie herkommen!“ warf sie mir augenfunkelnd an den Kopf. Ich hatte sie nur darum gebeten, den Motor ihres Mercedes abzustellen, dessen Scheiben sie gerade putzte. Die erboste Dame hat mich nicht geduzt. Sie hätte auch sagen können: „Geh in das Land, wo du herkommst!“ Nein, sie beherrschte die Formen. Wie der Präsidentschaftskandidat Herzog. Er hat nicht gesagt: „Deutschland den Deutschen!“ Er hat nur verkündet, daß diejenigen, die das großzügige Angebot des deutschen Passes ausschlagen, in das Land zurückkehren sollen, das sie offensichtlich als ihre Heimat betrachten. Er hat es viel offener und direkter gesagt: „Wir erwarten von euch die Rückkehr in das Land, das ihr offensichtlich als eure Heimat betrachtet.“ Ja, geduzt hat er sie. Nicht aus Überlegenheit hat er sie geduzt. Nein, aus Kumpelhaftigkeit, denn es handelt sich bei dem Duzenden immerhin um den amtierenden Präsidenten des Bundesverfassungsgerichtes, während es sich bei den Verduzten nur um Angehörige der zweiten und dritten Generation handelt, um junge Leute also, höchstens 40, und nicht einmal um Deutsche. Das nennt man Leutseligkeit und Großzügigkeit. Eine so offene Art haben sich früher nur Herzöge geleistet.

Zurückkehren sollen sie also, obwohl sie nie hierhergekommen sind, denn sie sind hier geboren, die meisten zumindest. Herr Herzog, verraten Sie mir, wie ich, beispielsweise, nach London zurückkehren soll, woher ich nie gekommen bin.

Die Chromosomen und das Blut, meinen Sie, sind von woanders hergekommen, beispielsweise aus der Türkei oder aus Griechenland oder gar aus Algerien. Wer hier geboren und aufgewachsen, mit den falschen Chromosomen und dem falschen Blut, einen deutschen Paß ablehnt, soll zurück in das Land, zu dem Boden, zu dem sein Blut gehört.

Entweder – oder. Entweder deutsch, notfalls auch mit falschen Chromosomen, oder undeutsch. Deutsch zu sein ist unteilbar. Es erfüllt so sehr die Persönlichkeit, es prägt so intensiv die Identität, daß kein Platz bleibt für eine andere „Identität“.

Deutsch zu sein ist nicht irgend etwas, nein. Das verstehe ich sehr gut. Ich bin unter Franco in einer Diktatur aufgewachsen. Uns Kindern wurde immer wieder folgendes verkündet und gepredigt: „Die spanische Nationalität ist eines der wenigen ernstzunehmenden Dinge auf dieser Welt.“ Fast wie die deutsche Nationalität, aber nur fast, habe ich inzwischen gemerkt. Deutsch zu sein ist wirklich unteilbar. Daß Menschen nicht selten im Zwiespalt leben, das haben auch Sie, wie ich, Herr Herzog, gehört. Aber wir zwei wissen, daß zwiespältige Menschen ungesunde Menschen sind, und das Ungesunde gehört nicht zu einem gesunden Volk. Es verdirbt. Es verdirbt den Appetit und das Volk. Eindeutig muß der Deutsche sein, eindeutig deutsch. Jeder muß wissen, auch der Nichtdeutsche, was er ist, und sich dazu bekennen. Wenn Deutscher, dann ganz deutsch. Wenn Türke, ganz türkisch. Ohne Schattierungen und ohne Grauzonen. Nur so kann es Nationen geben, die Kriege führen. Denn, wie sollen Männer bei Kriegen mitmachen, wenn die Hälfte ihrer Person zum Feind gehört? Nur eindeutige Menschen führen eindeutige Kriege. Deswegen mußten die Jugoslawen zuerst wieder zu Serben und Kroaten und Moslems gemacht werden, damit sie Krieg führen konnten, schön gegeneinander.

Ich weiß, Herr Herzog, mit Ihnen als Bundespräsident, falls Sie gewählt werden, wird es keinen Krieg der Deutschen geben. Ich weiß, Sie denken und reden langfristig und vorbeugend für den Fall, daß es dann doch zu einem Krieg käme, wegen der Loyalität: Im Falle eines Krieges müssen die Menschen sofort erkennen, gegen wen sie schießen müssen. Und das erkennen sie am Paß. Eindeutig. Und dann schießen sie bloß auf Menschen anderen Passes. Und so hat alles seine Ordnung. Und deswegen darf ein hier geborener Mensch, der sich nicht dazu entschließen kann, nur einen deutschen Paß zu haben, nicht hierbleiben.

Eine ethnische Säuberung ist das noch nicht, Herr Herzog, aber die Verwandtschaft ist unverkennbar. G. Aparicio

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