: Ritter, Trinker, Dichter
Das Werk des Wuppertaler Westberliners Robert Wolfgang Schnell
Der 1916 geborene Robert Wolfgang Schnell war ein Wuppertaler, den es nach Westberlin verschlagen hatte. Dort blieb er bis zu seinem Tod vor zwanzig Jahren, ein Dichter mit Werk und Ruhm, doch ohne Erfolg. 1977 schrieb er in einem Nachruf auf seinen Freund Günther Bruno Fuchs: „Ein paar Flaschen Bier hatten wir und unendlich viel zu erzählen. Von dem, was uns begeisterte, von dem, was uns traurig machte. Damals spielte die Rede, die Dehmel am Grab Liliencrons hielt, für mich eine große Rolle. Darin steht der Satz: ‚Er war ein Ritter, manchmal auch ein Strauchritter.‘“
Ein paar Flaschen Bier und vieles, das erzählt werden muss, beides war stets bestimmend für den Ritter und Strauchritter Robert Wolfgang Schnell. Zu seinem 70. Geburtstag hieß es auf der Einladungskarte: „Wer bis 15 Uhr nicht besoffen ist, der muss selber zahlen.“ Schnell gehörte zu der Dichterboheme in Westberlin, in der sich auch Günter Grass oder der junge Peter O. Chotjewitz tummelten. Dennoch war Schnell kein Kneipenpoet, seine Romane haben Raffinement und seine Lyrik ist ohne Pathos. In seinem bekanntesten Gedicht, „Ostern 1948 an Kleists Grab“, heißt es: „Die Minute, die ich mich beugte, / Kleist, an der Stelle, Du der hier ruhst, / war grauenvoll grau / und der Wind schrie von Toten / ohne Auferstehung und tieferen Traum. // Aber wer Deinen unnennbaren Ausflug / noch spürt das Salz im Brot / das, was den Staub zur Lunge hustet / wendet den Blick vom Grabstein / und sieht sich furchtlos einfach um.“
Dieses Gedicht ist nun in einer umfangreichen Werkausgabe wieder zugänglich, die seit dem vergangenen Jahr im Parthas Verlag erscheint. Neben „Erschließung der Wirklichkeit“, einer Sammlung von Gedichten, ist auch Schnells Roman „Erziehung durch Dienstmädchen“ wieder lieferbar. Anders als es der Titel suggeriert, geht es dort nicht um Anzüglichkeiten, sondern um die Niederschlagung des Kapp-Putsches. Schnell erzählt die Ereignisse aus der Perspektive eines Kindes, das am Beispiel des Dienstmädchens, einer Sympathisantin des Arbeiteraufstandes, zu kämpfen lernt, alldieweil das Bürgertum zusehends verfällt.
War aber „Erziehung durch Dienstmädchen“ ein eher didaktischer Roman, so sollte „Das Leben des Heiligen Hermann Katz“, das letzte Werk, an dem der von Krankheiten arg gebeutelte Schnell arbeitete, mit 600 Seiten sein Opus magnum werden. Das Werk galt lange als verschollen, zu Lebzeiten erschienen lediglich Ausschnitte. Michael Fisch, der Herausgeber der Werke Schnells, konnte es aufgrund eines glücklichen Fundes nun doch herausgegeben. Dabei handelt es sich um einen Torso, doch schon auf den hier präsentierten ersten 280 Seiten findet der Erzähler Schnell zu ganzer Größe. Hermann Katz befreit sich aus der Enge seiner Umgebung, wird Dichter, Geliebter einer Industriellengattin und Aufpasser im Bordell, in dem ein Pastor ein und aus geht. Katz verführt dessen Gattin und bleibt mit seinem halbherzigen, da unpolitischen Aufstand gegen die Konventionen selbst ein bürgerlich- verquaster Dummkopf.
Gerade wenn man den Roman als Fortsetzung des „Dienstmädchen“-Romans begreift, findet man in ihm eine Erklärung für den Zustand der bürgerlichen Gesellschaft im Deutschland der Zwanzigerjahre. Wuppertal ist hier ein Ort, in dem sich die geistigen und politischen Strömungen der Zeit genau aufzeigen lassen, weil sie im Kleinen darstellbar werden. Dass Schnell seinen großen Roman nicht vollenden konnte, ist bedauerlich. Umso lieber ist uns das Fragment, das wir nun lesen können.
JÖRG SUNDERMEIER
Robert Wolfgang Schnell: „Erschließung der Wirklichkeit“. Gedichte. 320 Seiten, 24 Euro Robert Wolfgang Schnell: „Erziehung durch Dienstmädchen“. 207 Seiten, 24 Euro Robert Wolfgang Schnell: „Das Leben des Heiligen Hermann Katz“. 320 Seiten, 24 Euro Alle erschienen im Parthas Verlag, Berlin