: Richter als Zeuge im Hornstein-Prozeß
Erneuter Befangenheitsantrag im Verfahren gegen die angebliche RAF-Frau ■ Von Edgar Neumann
Stuttgart (taz) — Im Stammheimer Prozeß gegen Luitgard Hornstein — wegen Beteiligung am 1986 verübten Bombenanschlag auf die Dornierwerke — vor dem Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart hat die Verteidigung in der letzten Woche einen erneuten Befangenheitsantrag gegen den Vorsitzenden Richter Ulrich Berroth gestellt. Dem war die Befragung des Vorsitzenden Richters des 5. Strafsenats am OLG Stuttgart, Bernhard Schmid, als Zeuge vorausgegangen. Dabei hatte Richter Berroth die Frage eines Verteidigers nach der politischen Haltung seines Richterkollegen im Zeugenstand nicht zugelassen, da dies für die Glaubwürdigkeit von dessen Aussage nicht von Bedeutung sei.
„Die Aussagen der — wegen dieses Sprengstoffanschlags rechtskräftig verurteilten — Zeugen Andrea Sievering, Erik Prauss und Chistian Kluth, die dem Staat und seinem ,Apparat‘ nach wie vor radikal ablehnend gegenüberstehen und sich mit der Angeklagten eng verbunden fühlen, vermögen den dringenden Tatverdacht nicht zu entkräften.“ Mit diesem juristischen Satzungetüm hatte der 4. Strafsenat des OLG Stuttgart am 17. August dieses Jahres begründet, warum Luitgard Hornstein nicht aus der Haft entlassen werden könne. Und dies, obwohl sie die vierjährige Freiheitsstrafe, zu der sie der 5. OLG-Senat im Juni 1988 wegen Mitgliedschaft in der Rote Armee Fraktion verurteilte, inzwischen verbüßt hat.
Das brachte die Verteidiger auf den Gedanken, den Vorsitzenden Richter des damals verurteilenden Strafsenats, der sich auf ihren Antrag hin nun im Zeugenstand befand, ebenfalls nach seiner politischen Überzeugung zu befragen. Das lasse keinen Rückschluß auf die Glaubwürdigkeit des Zeugen zu, wies Richter Berroth die Frage zurück. Hier werde bei Zeugenaussagen wohl mit zweierlei Maß gemessen, befanden die Anwälte von Luitgard Hornstein daraufhin und stellten einen erneuten Befangenheitsantrag gegen den Vorsitzenden Richter Berroth.
Die übrige Befragung des „richterlichen Zeugen“ verlief eher schleppend, da er in vielen Fällen die Aussage mit Hinweis auf das Beratungsgeheimnis verweigerte. Darunter fällt alles, was von den Gerichten in nichtöffentlicher Beratung besprochen wird. So ging es auch darum, welche Bedeutung der 5. Strafsenat den in sich sehr widersprüchlichen Aussagen einer Zeugin zuordnete, die bekundet hatte, Andrea Sievering und Erik Prauss in den Tagen vor dem Dornieranschlag in ihrer Privatpension am Bodensee beherbergt zu haben. Eine Aussage darüber könnte mögliche Unstimmigkeiten der Urteilsberatung des Strafsenats ergeben, begründete der Zeuge Richter Schmid, warum er die Frage nicht beantworte.
Ganz nebenbei gab er auf Nachfrage der Verteidiger zu, daß er sich mit den übrigen Mitgliedern seines Senats, die ebenfalls als Zeugen geladen sind, zuvor beraten habe, welche Fragen unter das Beratungsgeheimnis fallen könnten. Mit deren Vernehmung wird das Verfahren am Dienstag, den 25. September, um 9Uhr forgesetzt. Sollte das Gericht an diesem Verhandlungstag auch die Beschlüsse über noch ausstehende Verteidigeranträge verkünden, würden die Plädoyers und ein Ende des Prozesses in greifbare Nähe rücken.
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