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■ Richter Neskovic zum Haschisch-Beschluß des BVGDie Bayern werden sich wehren

Das Bundesverfassungsgericht (BVG) hat kürzlich entschieden, daß gelegentliche Haschischkonsumenten nicht mehr bestraft werden sollen. Von einer Strafverfolgung, so der Beschluß, sei „grundsätzlich abzusehen, wenn Cannabisprodukte nur in geringen Mengen und ausschließlich zum gelegentlichen Eigenverbrauch erworben oder besessen“ werden. Die Karlsruher Richter beschieden damit eine Verfassungsbeschwerde mehrerer Gerichte. Der Anstoß kam von dem Vorsitzenden Richter am Lübecker Landgericht, Wolfgang Neskovic, der die Strafbewehrung von Konsum und Weitergabe kleiner Cannabismengen als erster in einem Vorlagebeschluß beim BVG als grundgesetzwidrig anzweifelte.

taz: Tut man dem Bundesverfassungsrichter nicht zuviel der Ehre an, wenn man den Haschisch-Beschluß als Zeichen der Wende in der festgefahrenen Drogenpolitik deutet?

Wolfgang Neskovic: Nein, denn die Entscheidung signalisiert eindeutig den Rückzug des Strafrechts. Bisher war die Praxis in den einzelnen Bundesländern sehr unterschiedlich. Nun hat es das BVG zur verfassungsrechtlichen Pflicht gemacht, daß in bestimmten Fällen keine Strafverfolgung stattfinden darf. Hieran kann selbst der Bundesgesetzgeber nichts mehr ändern.

In Schleswig-Holstein war es bislang Praxis, daß Verfahren bis zu 30 Gramm Haschisch eingestellt wurden, in Berlin dagegen nur bis zu 5 Gramm. Laut BVG- Beschluß müssen die Länder nun eine einheitliche Regelung finden. Was wird dabei herauskommen?

Eine Prognose zu wagen ist schwer. Bayern wird gegen die Schleswig-Holsteiner Richtlinie von 30 Gramm sicherlich erbitterten Widerstand leisten. Vermutlich wird am Ende ein Mittelwert von 15 bis 20 Gramm herauskommen.

Kann Schleswig-Holstein dann immer noch Verfahren bis zu 30 Gramm einstellen, oder ist es dann auf die allgemeine Regel festgelegt?

Das ist eine spannende Frage. Man könnte die Entscheidung des BVG so interpretieren, daß es einen einheitlichen Mindeststandard als Pflicht geben wird, die Länder aber nach oben darüber hinausgehen dürfen.

Wie werden die Justizminister den „gelegentlichen“ Konsum definieren?

Wenn sie praxisnah denken, werden sie darauf verzichten. Denn es wird kaum Konsumenten geben, die sich gegenwärtig freiwillig als Dauerkonsumenten bezichtigen werden. Und die Polizei müßte einen unverhältnismäßigen Ermittlungsaufwand treiben, um dem Beschuldigten die Häufigkeit seines Konsums nachzuweisen.

Die Polizei betont, sie werde die Kleinkonsumenten weiter verfolgen. Der BVG-Beschluß habe an ihrer Arbeit nichts geändert.

Formal ist das richtig. Die Frage ist aber, wie die Beamten damit umgehen werden. Denn der Beschluß bedeutet, daß sie ihre Anzeigen in all den Fällen, die das BVG von der Strafverfolgung ausnimmt, für den Papierkorb schreiben werden, weil die Verfahren einzustellen sind. Das wird nicht ohne Einfluß auf die Motivation der Polizisten bleiben. Abhilfe könnte nur der Bundesgesetzgeber schaffen, indem er im materiellen Strafrecht die Entkriminalisierung von Haschisch vornimmt.

Unter der bisherigen Praxis haben am meisten die Kiffer in den Knästen gelitten. In Berlin werden die Insassen wegen des kleinsten Haschisch-Krümels vor den Kadi gezerrt. Gilt der BVG-Beschluß auch für Gefangene?

Der Beschluß gibt zwar Hinweise, daß in bestimmten Einrichtungen auch beim gelegentlichen Konsum in geringen Mengen weiterhin eine Strafverfolgung stattfinden kann. Aber Gefängnisse sind dabei nicht erwähnt.

Wie steht es mit dem Anbau von Cannabis?

Dazu finden sich in dem Beschluß keine näheren Erklärungen. Man könnte ihn aber so deuten, daß bei kleinen Mengen, die für den gelegentlichen Eigenkonsum angebaut werden, eine Strafverfolgung nicht erfolgen kann.

Halten Sie nach der Entscheidung des BVG daran fest, daß es ein Recht auf Rausch gibt?

Ja. Das BVG hat – entgegen der allgemeinen Berichterstattung – das „Recht auf Rausch“ als Ausdruck des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ausdrücklich anerkannt. Es hat jedoch in Übereinstimmung mit dem Lübecker Vorlagebeschluß darauf hingewiesen, daß es kein schrankenloses Recht auf Rausch gebe. Streit besteht nur darüber, wo die Schranken zu ziehen sind.

Eröffnet der BVG-Beschluß den Politikern einen Spielraum, Haschisch zu legalisieren?

Das BVG stellt ausdrücklich fest, daß eine Legalisierung potentiell ein ebenso geeigneter Weg ist wie die gegenwärtige Politik, die auf das Strafrecht setzt. Im Klartext: Das BVG sieht keine verfassungsrechtlichen Hindernisse, wenn der Gesetzgeber schon jetzt eine Legalisierung von Cannabisprodukten vornehmen würde. SPD und Grüne könnten dies im Herbst nach einem Wahlsieg verwirklichen. Das BVG geht sogar einen Schritt weiter, indem es schon jetzt den Gesetzgeber verfassungsrechtlich verpflichtet, zu überprüfen, ob eine Legalisierung von Haschisch zu einer Reduzierung des Konsums führt. Ist das der Fall, muß der Gesetzgeber eine Legalisierung vornehmen.

Die SPD hat auf ihrem Parteitag zwar keine Legalisierung, aber zumindest eine Entkriminalisierung von Haschisch beschlossen. Glauben Sie, daß eine neue Bundesregierung unter Scharping dies wirklich in die Tat umsetzen wird?

Das hängt davon ab, wie ernst Herr Scharping den Beschluß der Partei nimmt. Das Bundesverfassungsgericht hat ihm zusätzliche Munition gegeben. Aber ich bin dennoch skeptisch. Interview: Plutonia Plarre

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