piwik no script img

■ Resopol: ABM-Projekt will Berufspolitikern helfenDrei Stunden sind kein Tag

„Alle reden über Politikverdrossenheit – wir tun etwas dagegen“, unter diesem Motto startete in Bonn ein ehrgeiziges und bisher einmaliges Projekt. „Resopol“ – Resozialisation von Politikern ins Erwerbsleben.

Das Geld kam von der Bundesanstalt für Arbeit, die die Bewerber als „auf dem Arbeitsmarkt schwer vermittelbar“ einstufte. Werner Hackmann ist einer von derzeit zwanzig Beschäftigten der Tischlerei: vor einem Jahr kam er her und war damals einer der ersten Kandidaten. „Ich bin froh, den Absprung noch geschafft zu haben“, sagt der ehemalige parlamentarische „Staatssekretin“, wie er es heute nennt. Als er zu Resopol kam, hatte er bereits eine lange Politikerkarriere hinter sich. Vom Stadtparlament („da saßen außer mir nur abgebrochene Lehrer und Bauleute“) trug es ihn in den Bundestag und dort zu höheren Weihen als Staatssekretär. Doch dann fiel er bei seinem Chef in Ungnade – er hatte das Geld für eine Flugreise nach Kalifornien von dessen Privatkonto abgebucht. „Ich wurde im Rundfunkrat einer öffentlich-rechtlichen Anstalt endgelagert, wie ein abgebrannter Brennstab“, erzählt er verbittert. „In die Geschlossene“, wie sein Chef sagte. Das war bitter, denn: „Ich interessiere mich überhaupt nicht für Journalismus“, heute kann er offen darüber sprechen. In seinem Spind hängt ein Foto von ihm im Dienstwagen, Erinnerung an alte Zeiten. „Das brauche ich jetzt nicht mehr.“

Heute hat Hackmann eine „normale Wohnung“, achtzig Quadratmeter: „Es tut gut, nichts Besonderes mehr sein zu müssen“, er hat sein Übergewicht abgebaut („30 Kilo, man wurde ja ständig zum Fressen genötigt, und die Langeweile tat das Übrige“) und sogar eine Lebensgefährtin gefunden. „Früher, wenn du sagtest, du bist Politiker, da fiel bei den meisten schon die Klappe runter. Die Restlichen, na ja. Als Handwerker stehst du gleich ganz anders da.“ Es fällt ihm nicht leicht, auch heute nicht, darüber zu reden. Zumal der heutige Schreiner nicht nur bei solchen Anlässen Ablehnung, Diskriminierung erfuhr. Auch Resopol- Kunden beschimpften ihn anfangs als „Drückeberger“, um ein vergleichsweise harmloses Beispiel zu nennen. „Ich habe versucht, Verständnis zu erzeugen für die Randgruppe der Politiker. Als im Prinzip ungelernte Kraft mußt du ständig irgendwelche Entscheidungen treffen. Daß da manches schiefgeht, ist doch logisch.“ Er rät allen ähnlich Betroffenen, es ihm gleichzutun: „Es gibt doch so viele schöne Berufe, auch ohne Abitur, selbst mit Vorstrafen.“

Ein Bekannter Hackmanns aus dem Rundfunkrat („wir waren eine gesellschaftlich relevante Kleingruppe“) macht heute „was Vernünftiges, wo wirklich was passiert“, er sattelte um auf den Beruf des Gebrauchtwagenhändlers.

Hackmann ist ein Beispiel für eine gelungene Resozialisierung. Doch die meisten sind schwieriger, wie Vorarbeiter Rolf Kunze berichtet. „Die Leute sind einfach zu lange aus dem Arbeitsprozeß raus, wenn sie überhaupt jemals drin waren.“ Nur wenige kommen morgens um zehn Uhr zur Arbeit, viele gehen nach der Mittagspause wieder heim. „Immer wieder sage ich ihnen: Drei Stunden sind kein Tag.“ Doch bis die Politiker das begreifen, braucht es wohl noch Zeit. Mancher ließ sich seinen Blaumann in Mailand anfertigen; daß Ex-Politiker sich weigern, den Kunden für gelieferte Möbel eine Quittung zu geben, weil sie das Geld für sich behalten wollen, ist an der Tagesordnung. Kunze spricht ruhig, und nur seine gekräuselte Stirn zeugt von unterdrücktem Zorn. Dennoch verurteilt er die Politiker nicht, denn er glaubt: „Das sind Leute, die – ich will mich mal vorsichtig ausdrücken – von ihren Fähigkeiten her nicht in der Lage waren, sich mit ehrlicher Hände Arbeit über Wasser zu halten. Sie sind in die Politik gegangen, um irgendwie versorgt zu sein.“ Denn: „Keiner macht das gerne, was sie gemacht haben.“

Die Aufforderung: „Greif zum Hammer, Kumpel!“, zeigt selten spontane Erfolge. Gerade in der Eingewöhnungsphase schwelgen alle noch stundenlang in nostalgischen Erinnerungen an alte Skandale und Affären, flüchten sich in Tagträume von Abenteuer und Spesenrittertum. Kein Wunder, daß die Rückfallquote enorm ist. Beate Pohlmann, die das Projekt als Sozialarbeiterin betreut, glaubt: „Nur wenn der Kontakt zur Szene konsequent abgebrochen wird, besteht Hoffnung.“ Die engagierte Christin, Mutter zweier Kinder, hat es sich zum Ziel gesetzt, das Ansehen ihrer Schützlinge in der Öffentlichkeit geradezurücken. „Die Ellenbogengesellschaft, und das heißt wir alle, hat diese Leute zu dem gemacht, was sie sind. Wir können uns jetzt nicht aus der Verantwortung stehlen.“ Mit einer Energie, die man der zierlichen Person kaum zutrauen würde, organisiert sie bei Resopol Selbsterfahrungsgruppen für Betroffene, denen sie „Wertebewußtsein vermitteln“ will. Seither ging die Kriminalität im Projekt zurück. Politiker, so glaubt sie, brauchen mehr als Mitleid. „Sie brauchen unsere Hilfe.“ Dem kann man eigentlich nur zustimmen. Lisa Steger

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen