: Religiöse Vereinnahmungen
betr.: „Unbefleckter Unsinn“, taz vom 7. 2. 06
„Wer die Bilder kritisiert, muss die öffentlichen Räume von den Insignien und frechen Vereinnahmungen der Religiösen befreien.“ Hurra, Herr Eisenberg! Womit fangen wir an? Sammeln wir erst alle Drucke von Dostojewskis „Brüder Karamasow“, Tolstois „Auferstehung“, Hesses „Glasperlenspiel“, Manns „Joseph und seine Brüder“ ein und verbrennen die dann öffentlichkeitswirksam? Bitte überlegen Sie genau: Welcher Autor/welche Autorin der Weltliteratur setzt sich nicht mit religiösen Inhalten auseinander? Wir sollten gründlich sein und keinen vergessen bei der Verbrennung!
Oder sollten wir den Großteil der Werke Bachs, Händels „Messias“, Haydns „Schöpfung“ vernichten und ein generelles Spielverbot für Werke dieser Religiösen erwirken? Bitte überlegen Sie genau: Welcher Komponist von Weltgeltung setzt(e) sich nicht mit religiösen Inhalten auseinander?
Oder sollten wir die Museen dieser Welt stürmen und sämtliche Werke Chagalls zerstören und einen Großteil der Gemälde Raffaels, Michelangelos, Rembrandts, Boschs, Dürers, Klimts, Rubens’? Bitte überlegen Sie genau: Welcher Maler von Weltrang verarbeitete keine religiösen Themen? Wir wollen doch nicht, dass uns noch irgendein religiöses Gemälde vereinnahmt, oder?
Ach überhaupt – Philosophie, Herr Eisenberg, bitte überlegen Sie genau: Was hat Kants kategorischer Imperativ mit der Lehre Jesu zu tun? – Also, Herr Eisenberg, Sie sehen: Es gibt viel zu tun, überall, wie Sie scharfsinnig bemerkt haben. Womit fangen wir an?
ANDREAS KOCHTE, Görlitz
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