■ Vorschlag
: Reiner Kunze über Jan Skacel und mit Namibia-Fotos in der Urania

Jan Skácel war arm dran. Als Dichter wie als Mensch. Jahrelang verdiente er seinen Lebensunterhalt mit Jobs aller Art. Nach dem Krieg wurde er Redakteur, man schmiß ihn raus, und er wurde Fabrikarbeiter. Aus der Fabrik holte ihn sein Freund Oldrich Mikulasek. Der entdeckte seine lyrische Begabung und ermunterte ihn zur Schreiberei. Skácel ging zum Rundfunk, 1963 wurde er Redakteur der Brünner Literaturzeitschrift Host do domu (Der Gast ins Haus). Auch diesen Job mußte er nach dem Prager Frühling abgeben, und seine Texte kamen auf den Index. Danach lebte er vom spärlichen Gehalt seiner Frau, schließlich von ihrer Rente. Milan Kundera hielt Skácel für den größten tschechischen Poeten. Trotz – oder gerade wegen – der Einfachheit seiner Lyrik sei er „einer der am schwersten zu übersetzenden Dichter“, weil „jedes seiner Gedichte den etymologischen Abgrund, der in den einzelnen tschechischen Wörtern verborgen ist“, durchlebt. Daß Reiner Kunze tschechisch spricht und zu einem Skácel-Kenner wurde, hat damit zu tun, daß seine Frau Tschechin ist. Er meint zwar, Tschechisch nicht perfekt zu beherrschen – nicht so perfekt jedenfalls wie Skácel das Deutsche –, aber doch so gut, daß er sich schon seit Jahren mit den Texten seines Dichterkollegen beschäftigt. Kunze ist zwar nicht der einzige deutsche Übersetzer Skácels, aber der wichtigste. In seinem Vortrag zur Vernissage für seine Foto-Ausstellung skizzierte er ein Porträt des mährischen Dichters. Er stellte einen Menschen vor, der im Kopf immer ein Kind geblieben ist, so klug, so gewitzt, so naiv, so bockig, und: genauso poetisch. Die „kindheit als das große kleine“ ist die Grundmelodie skácelscher Lyrik. Sie ist „das was irgendwann/ gewesen ist und aus dem traum nun hängt/ ein faden fesselrest den man/ zersprengen kann und nie zersprengt“.

Zersprengen konnte Skácel aber nicht die kulturpolitische Borniertheit kommunistischer Funktionäre. Und irgendwann wollte er auch nicht mehr. Als seine Bücher in den achtziger Jahren wieder erscheinen durften, war er glücklich und wollte vor allem nicht wieder verboten werden. Deshalb unterschrieb er auch nicht die Charta 77. Das erscheint zwar feige, sagte Kunze, ist es aber nicht. Denn was Skácel politisch für undurchschaubar gehalten habe, davon ließ er lieber die Finger. 1989, als die Wende sich schon abzeichnete, schien Skácel endlich der Durchbruch zu gelingen. Er erhielt gleich drei Literaturpreise. Vor allem der Petrarca-Preis und die Laudatio Peter Handkes brachten Skácel in die deutschen Feuilletons. Am 7.11.89 starb er.

Was hat nun Skácels Lyrik mit Namibia zu tun? Die Verbindung zwischen beidem besteht allein in der Person Rainer Kunzes. Sein Aufenthalt in dem afrikanischen Land machte den Schriftsteller 1995 zum Fotografen, obwohl er keiner ist. Eigentlich sei er nach Namibia gegangen, um sich zurückzuziehen und zu schreiben. Zu fotografieren habe er erst dann begonnen, als er merkte, daß er sich schreibend nicht zurückziehen konnte. Um die Menschen und ihr Leben kennenzulernen, wollte er sich nicht verschließen, sondern sich ihnen anschließen. Zwar zierten sich die Leute anfangs, wenn er die Kamera auspackte, erlaubten es ihm aber doch, Bilder zu machen. So blieb er in ihrer Nähe, wenn sie kochten oder zum Lebensmittelgeschäft gingen oder ihre Verwandten auf dem selbst angelegten Friedhof besuchten, der mit Autoreifen umzäunt wurde. Schließlich gewöhnten sie sich an seine Anwesenheit; die Fotos wurden „mit Erlaubnis gestohlene Bilder“.

Auch der Landschaft und den Tieren mußte Kunze sich mühevoll annähern. Tagelang, so erzählt er, habe er sich in dornigem Gebüsch versteckt, bis ihm alle Knochen wehtaten, um das „postparadiesische“ Leben in der namibischen Wüste festzuhalten. Aus dem mitgebrachten Material entstand schließlich ein untypisches Kunze- Buch, das „endlich nicht nur mit Wörtern, sondern auch mit Bildern“ gefüllt ist: „Steine und Lieder“ (Fischer Verlag). Die Originalaufnahmen sind nun im Foyer der Urania zu sehen. Hans-Christoph Stephan

Bis 8. Februar, Mo. bis Fr. 14.30-20.30 Uhr im Foyer der Urania, An der Urania 17, Schöneberg