Regissseur Tobias Rausch über Theater mit Pflanzen: "Der Apfelbaum ist ein Kindermörder"
Langzeittheater am Schauspielhaus Hannover, wie sich die Welt ohne Menschen entwickeln würde. Ein Gespräch über das dramatische Potential der Pflanze, romantische Naturkonstrukte und die Untauglichkeit des Gummibaums.
taz: Herr Rausch, wie viel Spannungsbogen hat eine Inszenierung, in der Pflanzen die Hauptdarsteller sind?
Tobias Rausch: Pflanzen sind viel langsamer als Menschen, deswegen ist unser Stück auch epischer angelegt: Wir spielen über fünf Jahre hinweg. Wir werden versuchen, einerseits die Wahrnehmungsgeschwindigkeit der Zuschauer auf die Pflanzen etwas herunterzudrosseln. Auf der anderen Seite werden wir auch pflanzliche Prozesse beschleunigen müssen.
Radio Eins hat seine Hörer aufgerufen, Ihnen ihre Gummibäume zum Casting zu schicken. Gab es da interessante Kandidaten?
Gummibäume haben in unserem Stück eigentlich keine Chance. Wir spielen, inspiriert von Alan Weismans Buch "Die Welt ohne uns", die Geschichte der Pflanzen nach Ende der Menschheit. Wenn der Mensch nicht mehr da ist, wird auch der Gummibaum nicht mehr da sein, denn er ist auf ihn angewiesen. Da werden sich ganz andere Pflanzen durchsetzen.
Weismans Buch erkundet, wie es nach dem Rückzug der Menschen in der New Yorker U-Bahn oder in Weißrussland aussehen würde. Wie viel Spielraum haben Sie da in einer Theaterinszenierung?
Es ist keine Gartenschau, es ist auch keine Wanderung durch die Landschaft: die Zuschauer sitzen in einem Zuschauerraum. Dort, wo normalerweise das Bühnenportal wäre, ist eine große Glasscheibe und dadurch schauen sie auf einen Garten. Den legen wir zurzeit auf einer Brachfläche an; im Laufe der fünfjährigen Inszenierung wird er verwildern. Das werden wir künstlich forcieren, das heißt, am Ende des ersten Jahres wird schon alles mit Bäumen zugewachsen sein. Die Landschaft wird sich zur Wüste verwandeln, ein Gletscher wird sich über das Gelände bewegen, irgendwann wird alles unter Wasser stehen, weil der Meeresspiegel angestiegen ist. Eine Folge spielt unter der Erde, denn ein Großteil des Lebens der Pflanzen findet ja im Boden steht. Im Prinzip sind das, was wir als Pflanzen kennen, ja die nach außen gestülpten Geschlechtsteile und die eigentliche Pflanze lebt unter der Erde.
Das klingt alles ziemlich teuer.
Das Projekt ist sehr aufwändig. Gestern sind drei Tieflader auf dem Gelände angekommen und haben Hunderte Tonnen Füllboden dort aufgeschüttet, der jetzt von einem Bagger in Form gebracht wird. Wir werden auch ziemlich häufig neue Pflanzen brauchen.
Als Biologe haben Sie da auf jeden Fall mehr Vorwissen als andere Regisseure.
Ich muss zugeben, dass ich mich hauptsächlich mit Neurobiologie beschäftigt habe und Botanik mein schwaches Fach war. Ich habe überhaupt keinen grünen Daumen und gehe von daher eher als Laie ran.
Und nun wollen Sie die Pflanzen erst einmal kennen lernen.
Pflanzen sind ganz schöne Diven, das weiß jeder Gärtner. Wenn man zwei Pflanzen der gleichen Art im Garten stehen hat, gedeiht die eine wunderbar und die andere will nicht richtig. So etwas wird uns sicher auch passieren. Da stellen wir dann fest: Mist, die blüht jetzt schon, obwohl wir das erst am 16. Mai bräuchten. Man kann nicht wie einem Schauspieler sagen: Du kriegst hier dein Geld, du musst das jetzt so machen.
Es soll Identifikationspflanzen geben. Was für Voraussetzungen braucht man dafür als Pflanze?
Ganz wichtig ist, dass sie nicht einjährig ist, weil sie über mehrere Folgen bei uns mitspielen soll. Außerdem muss so eine Pflanze viele interessante Geschichten in sich verbergen. Wer da ganz toll ist, man glaubt es erst einmal nicht, ist der Apfelbaum. Er ist ein Kindermörder.
Ein Kindermörder?
Er sorgt mit Absonderungen aus seinen Wurzeln dafür, dass die Kerne, die unter ihn fallen, nicht wachsen können. Damit will er sich Konkurrenz vom Leib halten. Da ist das Verhältnis zum Apfel, der nicht weit vom Stamm fällt, ein ganz prekäres.
Sie wollen den Zuschauern lustige und tragische Züge von Pflanzen nahe bringen. Ist das nicht eine Vermenschlichung, statt zu akzeptieren, dass sie radikal anders sind als wir?
Das ist das interessante Wahrnehmungsexperiment dabei. Wir wollen nicht versuchen, die Pflanzen zu animieren, zum Beispiel als Figurentheater. Und trotzdem bin ich überzeugt, dass es, wenn man sich Pflanzen genau anschaut, auch so etwas wie eine Physiognomie gibt. Dass man sehen kann, ob sie eine Kränklich-Schwächliche oder eine Vital-Robuste ist. Das Problem ist, dass Pflanzen kein Bewusstsein haben und dass unsere klassischen theatralen Geschichten immer etwas mit Willen und Bewusstsein zu tun haben.
Wenn es bei Ihnen um den Rückzug der Menschen geht, um ein anderes Sehen, klingt das ziemlich didaktisch. Wie eine Schule der Demut.
Ein bisschen Demut ist dabei, schon allein wegen des Zeitraums von einer Million Jahren, den wir erzählen wollen. Aber zugleich sind wir Menschen in der problematischen Situation, dass wir gar nicht anders können als die Natur zu schänden, egal wie umweltfreundlich man zu leben versucht. Die Frage ist aber auch, ob die Pflanzenwelt so viel besser ist: Wir phantasieren immer dieses romantische Natur-Konstrukt, aber es wird sehr schnell hinfällig, wenn man sieht, was zwischen den Pflanzen untereinander passiert.
Zumindest ist bei ihnen Gewalt kein Selbstzweck, sondern dient der Arterhaltung.
Das ist eine Sicht, die vom Darwinismus geprägt ist, aber es gibt immer wieder Fälle, wo man nicht sagen kann, inwiefern das den Nachkommen dient. Es gibt auch Fehler in der Natur und Phänomene, wo etwas total schief läuft.
Was die Tauglichkeit von Pflanzen als dramatische Akteure anbelangt, sind Sie aber zuversichtlich?
Ich frage mich schon länger, was das dramatische Subjekt eines Theaterstücks sein kann. Ich habe eine Inszenierung über ein Kernkraftwerk gemacht, in der Dutzende Menschen ihre Geschichte erzählten. Aber wir haben festgestellt, dass das eigentliche dramatische Subjekt das Kraftwerk war. Das Projekt mit den Pflanzen ist da noch
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