Regisseur über HBO-Sozialmelodrama: "Diese Ahnung des Überwachtwerdens"
An die Große Depression herangezoomt: Regisseur Todd Haynes über seine erfolgreiche Serie "Mildred Pierce" und den Unterschied zwischen Kate Winselt und Julian Moore.
taz: Inwiefern unterscheidet sich "Mildred Pierce" von Ihren früheren Melodramen wie "Safe" und "Far From Heaven"?
Todd Haynes: "Mildred Pierce" folgt in vielerlei Hinsicht der klassischen Definition eines Melodramas, aber es gibt auch interessante Unterschiede. Die Titelheldin ist nicht einfach machtlos in ihrer Rolle als Hausfrau und Mutter. Dadurch, dass Mildred gezwungen ist, einen Job anzunehmen, bewegt sie sich plötzlich in zwei Welten, der der Produktion und der Reproduktion.
Geld, Geschäft und Arbeit verbinden sich untrennbar mit der Gefühlswelt der Hauptfiguren. Auch die Rolle der Männer in der Geschichte ist einzigartig, weil sie arbeitslos und damit entmachtet sind. Sie rücken aus dem Zentrum der Aktion, und Frauen füllen die Leerstelle.
"Mildred Pierce" spielt zur Zeit der Großen Depression. In der ersten Verfilmung des Romans von James M. Cain mit Joan Crawford in der Hauptrolle wird das nicht thematisiert. Wollten Sie wieder näher an die Vorlage?
Ja, die Geschichte wurde für den Film von Michael Curtiz zu einem Krimi umgeschrieben, um die Erwartungen zu erfüllen, die erfolgreiche Cain-Adaptionen wie "Double Indemnity" und "The Postman Always Rings Twice" geweckt haben. Was ich an dem Buch so besonders finde, ist, dass es fast so etwas ist wie Cains Sozialgeschichte eines Frauenlebens, seine "Madame Bovary" gewissermaßen.
In den 30er Jahren gab es in Amerika ja eigentlich eine Rückkehr zu traditionelleren Geschlechterrollen. Die 20er waren eine Zeit, in der die Stellung der Frau in der Gesellschaft in Frage gestellt wurde, es gab progressive und radikale Ideen zur Emanzipation. Aber als die Wirtschaftskrise die USA traf, versuchte man wieder die traditionellen Rollen durchzusetzen, die Familie zu stärken und so weit wie möglich zur Normalität zurückzukehren. Bei Cain besetzen die Frauen dagegen die dominanten Rollen.
TODD HAYNES wurde 1961 in Los Angeles geboren und studierte Kunst und Semiotik. Aufsehen erregte bereits sein erster Kurzfilm "Superstar: The Karen Carpenter Story" von 1987 über eine an Magersucht gestorbene Sängerin. 1991 gewann er mit seinem ersten Langfilm "Poison" nach Erzählungen von Jean Genet den Großen Preis der Jury beim Sundance Festival. Mit seinen Filmen über eine kleinbürgerliche Hausfrau, die auf fast alles allergisch reagiert ("Safe", 1995), bisexuelle Glam-Rocker ("Velvet Goldmine", 1998) und ein zerbrechendes Familienidyll ("Dem Himmel so fern", 2002) wurde er einem internationalen Publikum bekannt;2007 revolutionierte er mit "Im not there" das Genre des Biopics, indem er Bob Dylans Vita auf sechs Figuren verteilt – von denen keine auf den Namen Dylan hört. Die für den Bezahlsender HBO gedrehte Serie "Mildred Pierce" ist Haynes erste Fernseharbeit; zu sehen ist sie in Berlin am kommenden Dienstag im Rahmen des Festivals "Unknown Pleasures" (www.unknownpleasures.de).
Klassenfragen werden selten in amerikanischen Filmen so explizit behandelt wie in Ihrer Version von "Mildred Pierce".
Ja, in Amerika wird eher noch Rasse thematisiert. In "Mildred Pierce" ist die Krise der Mittelklasse wirklich das zentrale Thema. Interessant ist, dass fast jeder Amerikaner seine Klassenzugehörigkeit falsch einschätzt. Die ökonomische Realität deckt sich häufig nicht mit der Selbsteinschätzung. Und häufig sind es gerade die Frauen und Mütter, die das Streben nach gesellschaftlichem Aufstieg forcieren.
Zumindest in Teilen spielen alle Ihre Filme in der Vergangenheit, normalerweise reflektieren sie dabei auch immer die filmischen Stile der jeweiligen Zeit. Warum haben Sie das dieses Mal nicht gemacht?
Das stimmt, ich habe mir nicht den Stil der 30er Jahre zum Vorbild genommen, stattdessen habe ich eher auf das Kino der 70er Jahre geschaut und wie damals traditionelle Genres mit einem neuen Naturalismus verbunden wurde. Ich bin aufgewachsen mit dem "Godfather"-Epos, "Chinatown" und "The Exorcist", diese Filme haben alle die Genre-Regeln respektiert, aber zugleich die Art, wie diese Geschichten visualisiert wurden, verändert: Man benutzte natürliches Licht, drehte in echten Locations mit Schauspielern, die wie echte Menschen aussahen.
Es wundert mich, dass Sie von Naturalismus sprechen. Sie galten bislang als Formalist, der immer die Künstlichkeit des filmischen Mediums betont.
Natürlich handelt es sich auch hier um einen Naturalismus, der gewissen Codes folgt und in einer bestimmten Zeit verwurzelt ist. Heute würde man wahrscheinlich eine Handkamera benutzen und schneller schneiden, um dasselbe Gefühl zu erzeugen.
Die Filme der 70er Jahre haben die Maschinerie des Geschichtenerzählens dagegen abgebremst, die Einstellungen wurden länger gehalten, um dem Zuschauer die Möglichkeit zu geben, das Bild mit Bedeutung aufzuladen. Dadurch wurde die intellektuelle Neugier des Publikums respektiert. Es wurde Raum für Interpretationen gegeben. Diesen beobachtenden Stil wollte ich auch für "Mildred Pierce".
Auch die langsamen Zooms in "Mildred Pierce" erinnern an Filme der 70er Jahre. Heute sind Zooms ja eher verpönt.
Der Gebrauch des Zooms in der Filmgeschichte interessiert mich. Die Fähigkeit zu zoomen ist ja das Einzige, was das Kameraobjektiv dem Auge voraushat. Es ist also eine dem Kino eigene Technik. Die Tatsache, dass sie aus der Mode sind, verstärkt meinen Drang noch, sie einzusetzen. Ich benutze Zooms allerdings in ihrem historischen Kontext. In meinem Film "Velvet Goldmine" waren es schnelle Power-Zooms, wie sie in den Pop-Art-beeinflussten 60ern modern waren.
In "Mildred Pierce" nutze ich sie subtiler, eher so wie sie Stanley Kubrick sie in den 70er Jahren benutzt hat, um langsam eine Totale zu enthüllen oder von einer Totale auf ein Detail zu gehen. Ganz anders hat in der gleichen Zeit etwa Robert Altman diese Technik benutzt, unkontrollierter, suchender. Ich finde diese Unterschiede unendlich faszinierend.
Ihr Kameramann Ed Lachmann filmt die Schauspieler immer wieder durch Fenster, Türen und andere Durchgänge. Warum diese Rahmen?
Dem Zuschauer sollte der Eindruck gegeben werden, dass immer jemand zuschaut. Familien sind ja diese geschlossenen Systeme, in denen es nie wirklich private Momente gibt. Selbst wenn gerade niemand beobachtet, gibt es immer dieses Ahnung des Überwachtwerdens. Dieses klaustrophobische Gefühl wollte ich vermitteln. Außerdem regen diese Rahmen den Zuschauer dazu an, sich selber in Verbindung zum Gesehenen zu setzen.
Wenn man sozusagen das Fenster zeigt, durch das man auf diese andere Realität schaut, bezieht das auch den Zuschauer mit ein. Im besten Fall werden Leben und Erfahrungen reflektiert. Ich habe "Mildred Pierce" gelesen, als gerade der Finanzmarkt in den USA zusammenbrach, natürlich gibt es große Unterschiede zwischen der Großen Depression der 30er Jahre und der heutigen Krise, der Zuschauer soll trotzdem ermutigt werden, Parallelen zu ziehen.
Kate Winslet ist in so gut wie jeder Einstellung von "Mildred Pierce" zu sehen. Ihre Art zu spielen unterscheidet sich stark von Julianne Moores Stil in "Safe" und "Far From Heaven". Gab es auch hier das Bemühen um einen größeren Naturalismus?
Kates Schauspielstil ist definitiv naturalistischer. Wegen der Körperlichkeit ihres Spiels habe ich sie sofort in dieser Rolle gesehen. Mildred macht alles mit ihrem Körper, sie genießt diese Freiheit – anders als die Frauen in meinen anderen Filmen. Natürlich ist sie eine schöne Frau, aber sie ist auch ein Arbeitstier. Man sieht den physischen Ausdruck dessen, was sie ist, in all den Aufgaben, die sie meistert.
Und natürlich ist ihre Energie auch Ausdruck einer pathologischen Fixierung auf ihre Tochter. Sie versucht alles, um einer Konfrontation aus dem Weg zu gehen, die irgendwann zu einem Bruch zwischen Mutter und Tochter führen muss. Als ich das Buch von Cain gelesen habe, habe ich mir schon Kate Winslet in der Rolle vorgestellt. Das hat mir geholfen, den Schatten von Joan Crawford zu verdrängen.
"Mildred Pierce" ist Ihre erste Fernseharbeit. Was hat Sie an diesem anderen Medium gereizt?
Ich fand gut, ein anderes Publikum anzusprechen. Das Fernsehpublikum ist ja nicht unbedingt mit meiner Arbeit als unabhängiger Regisseur vertraut. Im Kino habe ich ein Publikum, das weiß, worauf es sich bei einem Film von mir einlässt, das herausgefordert werden will. Hier komme ich gewissermaßen völlig unangemeldet in das Wohnzimmer der Menschen.
Mit freundlicher Genehmigung des 3sat Kinomagazin
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