Regisseur Karmakar: "Der islamistische Terror war längst da"
Wie hört sich eine Hasspredigt an? Rationaler, als viele denken. In seinem Film "Hamburger Lektionen" zeigt Romuald Karmakar, mit welchen Utopien ein islamistischer Extremist Terror rechtfertigt
taz: Herr Karmakar, wie haben Sie "Hamburger Lektionen" finanziert?
Romuald Karmakar: Den Film habe ich beziehungsweise meine Firma Pantera Film finanziert.
Warum haben Sie nicht den üblichen Weg mit Filmförderungs- oder Fernsehgeldern beschritten?
Romuald Karmakar (42) ist Autodidakt: 1984 hat er sich eine Super-8-Kamera gekauft und dreht seither Filme. Seine Sujets findet er dort, wo andere die Augen verschließen. "Coup de boule" (1987) befasst sich mit Formen lustvoll-aggressiver Körperlichkeit unter Rekruten in der französischen Armee; "Gallodrome" (1988) mit Hahnenkämpfen, "Hunde aus Samt und Stahl" (1989) mit Kampfhunden und "Warheads" (1993) mit Fremdenlegionären und Söldnern. Oft geht es um die Perspektive von Tätern, von Gewaltausübenden. Für den Spielfilm "Der Totmacher" (1995) erhielt er den Deutschen Filmpreis. Zu seinen jüngeren Arbeiten gehören der Spielfilm "Die Nacht singt ihre Lieder" (2004) und der Musikfilm "196 BPM" (2002). 2000 drehte Karmakar "Das Himmler-Projekt". Darin liest der Schauspieler Manfred Zapatka eine Rede Heinrich Himmlers.
Ende der 90er-Jahre wurde Mohammed Fazazi Imam der Al-Quds-Moschee im Hamburger Stadtteil St. Georg. Im Januar 2000, in den letzten Tagen des Fastenmonats Ramadan, hielt Fazazi im Gebetsraum der Moschee mehrere "Lektionen", bei denen die Anwesenden Fragen zu verschiedenen Aspekten des korangemäßen Lebens stellen konnten. Diese Sitzungen wurden auf Video aufgenommen. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 wurde bekannt, dass drei der vier Selbstmordattentäter regelmäßig die Al-Quds-Moschee besuchten und in engem Kontakt zu Fazazi standen. 2003 wurde er in Marokko zu 30 Jahren Haft verurteilt - als geistiger Anstifter der Selbstmordattentäter in Casablanca. Für seinen Film "Hamburger Lektionen" hat der Berliner Regisseur Romuald Karmakar die Mitschnitte von zwei dieser Vorträge Fazazis transkribieren und übersetzen lassen. Der Schauspieler Manfred Zapatka trägt den Text nüchtern vor; die Kamera hält meist still, Schnitte und Veränderungen der Einstellungsgröße sind selten. Gerade in dieser Nüchternheit, dieser Reduktion ist "Hamburger Lektionen" beeindruckend. In seinen 130 Minuten Laufzeit gewährt der Film tiefe Einsichten in die innere Logik fundamentalistischen Denkens.
Das dauert zu lange. Ich habe im Juli 2005 einen Artikel über die Lektionen des Imam Fazazi in Hamburg gelesen und wollte schnell arbeiten. Ein Vorteil ist auch die Freiheit, nicht vor dem Dreh zwanzigmal erklären zu müssen, was man will. Ich mag es nicht, wenn ich meine Projekte erklären muss. Ich mache sie lieber.
Wie beim "Himmler Projekt", Ihrem Film aus dem Jahr 2000, in dem es um die Posener Rede des SS-Führers Heinrich Himmler ging, trägt Manfred Zapatka den Text vor. Ein Unterschied ist, dass die Predigten des Imam aus dem marokkanischen Arabisch ins Deutsche übersetzt werden mussten. War das kompliziert?
Ja, wir haben das anfangs unterschätzt. Beim Arabischen sagen viele, es ist schwer übersetzbar, weil es so blumig und vieldeutig ist. Andererseits mussten bestimmte Passagen, zum Beispiel Aufrufe zur Gewalt, die als Volksverhetzung justiziabel sind, genau übersetzt werden. Aus diesem Grund haben wir manche Stellen mehrfach übersetzen lassen, um so präzise wie möglich zu sein.
Fazazi ist ein islamistischer Extremist. Wie sieht die Utopie aus, die er seinem Publikum anbietet?
Die Errichtung eines globalen Kalifats, also die Weltherrschaft des Islam in der rigiden, salafistischen Deutung, die er vertritt. Damit transformiert er das Gefühl, vom Westen dominiert und unterdrückt zu werden, in eine künftige Machtperspektive. Er sagt, dass die Errichtung des Kalifats hunderte von Jahren dauern kann - aber das ist eine sinnstiftende Idee. Es ist ein Projekt, das größer ist als das Leben der Individuen. Es ist ein wasserdichtes Utopie-Projekt, in dem außerdem definiert wird, wie man alltäglich zu leben hat. Ein All-inclusive-Angebot.
Die salafistische Idee, dass das Heil darin besteht, so zu leben wie im 7. Jahrhundert, erscheint uns als obskur. Vertraut ist aber die Struktur der Rede. Es gibt einen Text, der die Offenbarung enthält - so wie die Bibel. Und es gibt den Interpreten, dessen Autorität auf der Textexegese beruht.
Manche Zuschauer haben gesagt: Ich war Ministrant, mir kommen manche Argumente ziemlich bekannt vor.
Ein weiterer roter Faden des Textes ist die Definition des Feindes. Er geht so weit zu sagen, dass Muslime auch Frauen und Kinder töten dürfen, wenn diese dem Islam schaden. Das ist totalitär, aber auch ein vertrauter Text: Die Freund-Feind-Bestimmung gehört zum Kernbestand modernen politischen Denkens.
Fazazi beschwört ein binäres System: Es gibt die Wir-Gruppe und die Sie-Gruppe. Fazazi definiert, was man tun muss, um zur Wir-Gruppe zu gehören - nämlich seiner höchst strikten, wortwörtlichen, salafistischen Form des Islam zu folgen. Solche Tugendkataloge, die Wir und Sie unterscheiden, sind typisch für extremistische Gruppen. Die gibt es auch bei der SS. Fazazi vermittelt dem Publikum die Idee, Träger der Offenbarung zu sein. Die Einzelnen handeln nicht als Individuen, sondern als Agenten einer Vision. Auch das erinnert an Himmlers Rhetorik, der die Zukunft des Tausendjährigen Reiches beschwor. Und dass die SS die Elite ist, die sich für diesen Auftrag über alle Regeln hinwegsetzen darf.
Manfred Zapatka liest, in ähnlicher Diktion und Inszenierung, die Texte von Himmler und Fazazi. Liegt darin nicht die Gefahr, ein Gleichheitszeichen zwischen Himmler und Fazazi zu setzen - und damit zwischen Nationalsozialismus und radikalem Islamismus?
Ach nein, der Unterschied ist doch deutlich. Der Nationalsozialismus 1943 war staatlich legitimierter Terror von völlig anderer Größenordnung. Insofern kann man, was die Ausmaße des Terrors angeht, nichts gleichsetzen. Doch Himmler und Fazazi haben ein ähnliches Thema. Sie versuchen etwas zu legitimieren, was allgemein als Verbrechen gilt, etwa den Massenmord. Und sie wollen ihrem Publikum die Angst nehmen, dies zu tun. Ähnlich sind auch der Absolutheitsanspruch, vollständig im Recht zu sein, und die Selbstermächtigung. Da gibt es auch Parallelen zu Gruppen wie der RAF.
Welche Rolle spielt "Hamburger Lektionen" in Bezug auf den Diskurs über Islamismus in Deutschland?
Der Film ist klassische Aufklärung. Er vermittelt Wissen über etwas, von dem oft geredet wird, von dem aber die Wenigsten wissen, woraus es sich zusammensetzt - zum Beispiel die Hasspredigt. Das Wort wird oft verwendet. Alle tun so, als wüssten sie, was eine Hasspredigt ist - aber konkret wissen es eben die wenigsten. Es gibt das Klischeebild des Nazis, der schreit. Ein Nazi muss schreien. Wenn er nicht schreit, ist er kein richtiger Nazi. Es hat gedauert, ehe man begriffen hat, dass es auch freundliche, ruhige Nazis gab, die keineswegs weniger extremistisch waren. Ich will zeigen, dass sogenannte Hassprediger auch rational argumentieren.
Müssen wir Angst vor dem gewalttätigen Islamismus schüren?
Wir müssen uns damit beschäftigen, bevor wir Angst haben. Der radikale, gewaltbereite Islamismus steht nicht außerhalb unseres Lebens, er ist Teil unseres Lebens.
Meinen Sie, dass dies in Deutschland verdrängt wird?
Ja, nicht von der Politik, aber von der Gesellschaft. Wir haben das Thema an die Politik delegiert. Auch der Kulturbetrieb hat das Thema komplett ausgeblendet. Das ist gefährlich. Es gab lange die Ansicht, dass ein Anschlag wie in London bei uns nicht passieren kann. Das ist eine blinde Hoffnung. Als die Kofferbomber entdeckt wurden, schrieben manche Zeitungen: Nun ist der islamistische Terror bei uns angekommen. Falsch. Er war schon vorher hier. Wer hingucken wollte, wusste das. Diese Lektion ist im Januar 2000 in Hamburg gehalten worden, vor 9/11. Sie ist eine globale Kampfansage an alle, von Brasilien über die USA bis nach Deutschland, unabhängig vom Irakkrieg.
Gelassenheit ist aber die klügste Reaktion einer offenen Gesellschaft auf Terrorismus, gegen den es absoluten Schutz nie geben kann.
Das stimmt. Aber Gelassenheit heißt nicht, dass wir nichts tun. So zu tun, als wäre der gewalttätige Islamismus nicht da, ist einfach, aber falsch.
Im ersten Bild sieht man die Fassade eines Hamburger Hauses, in dessen Hinterhof die Moschee war, in der Fazazi predigte. Ein Alltagsbild, unscheinbar, es könnte überall sein. Liegt darin nicht die Suggestion: Sie sind schon hier, mitten unter uns?
Nein, das ist ein offenes Bild. Der Text beschreibt ja den konkreten Ort, die Al-Quds-Moschee, und den konkreten Zeitpunkt, den Januar 2000. Das Bild suggeriert nicht, dass so auch in anderen Moscheen geredet wird. Ich wollte mit dem Bild aber zeigen, dass diese Predigt hier gehalten wurde, an einem Ort, an dem deutsche Autos vorbeifahren. Denn es gibt in Deutschland eine Exterritorialisierung des radikalen Islamismus, der überall ist, in London oder Madrid, aber nicht bei uns.
Fazazi ist kein Deutscher. Er ist nicht Teil eines Migrantenkollektivs, wie jene Pakistani der dritten Generation, die britische Staatsbürger sind und Terroristen wurden. Fazazi hingegen ist eine Art Handlungsreisender in Sachen islamistischer Terror, der eine Zeit lang in Hamburg war
Ja, aber er spricht zu Migranten, die sich in Deutschland radikalisiert haben. Insofern gehört dies zu unserer Realität. Das kann man nicht leugnen.
INTERVIEW: STEFAN REINECKE
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