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Regisseur Christoph Frick über Politsprech„Jede Entgleisung ist abrufbar“

Der Regisseur Christoph Frick hat aus dem Reden der Politiker ein Stück gemacht. Sichtbar wird eine absurde Art zu kommunizieren, die letztlich die Demokratie gefährdet.

Nie ohne Teleprompter! Politikdarsteller üben sich im Reden. Bild: Karl-Bernd Karwasz
Interview von Jens Fischer

taz: Herr Frick, Sie haben mit ihren Schauspielern den Politikern gelauscht, mit Rhetorik-Coaches gesprochen, einen Ghostwriter interviewt – können Sie nun erklären, wie Politiker die Sprache missbrauchen, um nicht verstanden, aber gewählt zu werden?

Christoph Frick: Wenn ich das könnte, wäre ich hoch bezahlter Wahlkampfleiter. Was uns überrascht hat, ist das Ausmaß des Coachings, damit zumindest Spitzenpolitiker nicht so deppert dastehen wie der Peer Steinbrück, sondern immer wissen, wie sie vorteilhaft zu sitzen, zu stehen, zu sprechen haben.

Gibt es überhaupt noch authentische Aussagen in den Statements?

Vielfach müssen sich Politiker ja zu Themen äußern, in denen sie sich gar nicht auskennen. Dann sprechen sie lieber nicht in ihrer Sprache, sondern mit den vorformulierten Reden. So wächst die Entfernung von gesprochenem Wort zum Sprecher – und damit auch zu uns Bürgern.

Wie Werbung oder die allgegenwärtigen PR-Lügen wird Politikersprache ja für uns Bürger inszeniert, um Images zu behaupten und Absichten hinter Phrasen zu verstecken.

Das haben sie sehr richtig beschrieben. Es geht um die Ökonomie der Aufmerksamkeit: Deren Mechanismen bedienen die Politiker mit ihren Reden. Im Parlament sitzt die Opposition, die kann man nicht überzeugen, und die eigene Fraktion, die muss man nicht überzeugen. Alle Konzentration gilt den Kamerateams im Saal und dem Wissen, wenn’s gut läuft, bekommt man maximal 90 Sekunden, vielleicht auch nur zehn Sekunden Sendezeit.

Im Interview: Christoph Frick

53, gründete 1991 zusammen mit Jordy Haderek die Gruppe "Klara Theaterproduktionen", die er leitet und für die er eigene Projekte entwickelt und inszeniert.

Man spricht daher ja von Post- oder Scheindemokratie …

… weil sich die Politiker an die Medien angepasst haben. Einerseits wollen sie immer vorkommen, andererseits sich nicht nass machen, nicht haftbar gemacht werden für eine Äußerung. Denn wenn etwas gesagt wurde, ist es gespeichert, jede Entgleisung ist im Internet abrufbar. Nichts wird gelöscht oder gnädig vergessen. Das ist für eine Demokratie, die vom Wort, vom Widerwort, von der Diskussion, der Streitkultur lebt, ein großes Problem.

Lohnt es sich überhaupt, den Politikern noch zuzuhören?

Wenn wir Bürger wieder eine aktive Rolle spielen wollen, müssen wir natürlich zuhören. Gerade passiert ja ein unkoordiniertes Aufwachen in unseren Komfortzonen, Stichwort „Occupy-Bewegung“. Wir müssen akzeptieren, die Wohlstandsleistungen des Staates nicht mehr nur selbstverständlich mitzunehmen. Wenn ich nun was ändern will, dann kann ich das nicht an die Politik delegieren, dafür muss ich eine eigene Sprache, eigene Verhaltensweisen finden.

Ein Gegenentwurf zur Politikverdrossenheit.

Ja, wir leben in einer Phase, wo man lange bekannte Probleme wie den Klimawandel endlich angehen muss. Aber Politiker schieben längerfristige, drängende Probleme weg, weil diese ihrem Interesse, wiedergewählt zu werden, nicht helfen. Und so benutzt auch unsere Bundeskanzlerin diese 5-vor-12-Parolen, die sie immer sogleich beruhigt: Uns gehe es ja noch gut, nur jetzt nichts überstürzen. Diese bipolaren Setzungen fanden wir in vielen Reden. Diese Komik des: Tun wir nichts, aber bitte gleich.

Wird Ihr Theaterprojekt also komisch – oder eher traurig, deprimierend, empörend?

Alles – in dieser Reihenfolge.

Dass auf der politischen Bühne gelogen und betrogen wird, ist ja ein klassisches Thema des Selbstbestätigungskabaretts. Wie wird daraus Theater?

Wir wollen natürlich mehr sagen als: Die da oben verarschen uns. Wir wollen unsere Beobachtungen des politischen Systems vermitteln. Am 9. November 1989 wurde im Bundestag über die Steuersätze für Sportvereine diskutiert. Wir rezitieren die Abschrift der Debatte. Plötzlich kommt die Nachricht von der Maueröffnung. Dann geht der Kleinkram des Alltagsgeschäfts weiter und wird in unglaublicher Länge ausgewalzt. Wir konfrontieren auf der Bühne diesen Leerlauf mit den Reden, die etwa Stefan Heym in der Zeit auf dem Alexanderplatz gehalten hat.

So könnte Politik als geschlossenes, in Ritualen erstarrtes System deutlich werden, das keine Inhalte mehr produziert und nicht mehr in der Lage ist, darauf einzugehen, was draußen so passiert.

Genau. Wir ordnen den Abend dabei dem Genre Redenkonzert zu. Sechs Schauspieler und ein Musiker verbinden verschiedene Stimmen zu einem Chor – oder setzen diese auch kontrapunktisch gegeneinander. Oder musikalisieren das Geräuschhafte des Geredes – oder den Wettbewerb der Rücktritte.

"Sie können das alles senden! Reden in der Demokratie": 22. und 29. 11., 7. und 29. 12., Schauspiel Hannover

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