Reformen in Kuba: "Ende der Gleichmacherei"
Nahrungsmittelfalle, wenig Geburten, geringe Produktivität: Staatschef Raúl Castro will Kuba nach vorne bringen. Das heißt offenbar, dass erst mal mehr gearbeitet werden muss.
HAMBURG taz "Sozialismus bedeutet soziale Gerechtigkeit und Gleichheit, aber Gleichheit vor dem Recht und an Möglichkeiten - nicht der Einkommen", hat Raúl Castro am Freitagabend vor Kubas Nationalversammlung gesagt. Damit dämpfte der Staatschef alle Hoffnungen auf umfassende Lohnreformen. Die hatten viele Kubaner erwartet, denn schließlich hatten Regierungsvertreter zugegeben, dass an einer Währungsreform gearbeitet, dass das Lohnmodell hinterfragt und die Rationierungskarte über kurz oder lang ins Museum verbannt wird.
All das wird dauern, denn Castro hat nicht mehr, sondern weniger zu verteilen, wie er unmissverständlich in seiner fast zweistündigen Rede vor dem Parlament klarstellte. Allein für Lebensmittelimporte kalkuliert Comandante Raúl mit zusätzlichen Ausgaben von 1,1 Milliarden Dollar angesichts des internationalen Preisbooms. Insgesamt wird Kuba demnach in diesem Jahr rund 2,8 Milliarden Dollar ausgeben müssen, um Getreide, Reis, Bohnen und Co. für die Bevölkerung zu importieren.
Raúl Castro weiß nur zu gut, woran das liegt, denn nicht weniger als 56 Prozent der Ackerfläche liegen einer jüngst veröffentlichten Studie des Statistikamtes zufolge brach. Das ist einer der Hauptgründe für die steigende Importabhängigkeit, der Castro unmissverständlich den Kampf angesagt hat.
"Wir müssen das Land wieder produktiv machen" lautet der wichtigste Appell des ehemaligen Verteidigungsministers. Er verwies auf die im nationalen Vergleich hochproduktive Armee und deren Erfahrungen. Denen sollen möglichst viele Kubaner nacheifern, denn in den nächsten Wochen soll nun endlich das Procedere bekannt gegeben werden, wie staatliches Ackerland zur Nutzung an private Bauern vergeben wird. Das ist eine zentrale Maßnahme, um aus der Nahrungsmittelfalle herauszukommen. Doch wie und zu welchen Bedingungen produziert und verkauft werden wird, ist noch unklar, auch wenn generell gilt: "Jeder soll nach seiner Arbeit bezahlt werden."
Zum Ende der Gleichmacherei, das vorerst die ohnehin schon beachtlichen Einkommensunterschiede de facto legalisieren wird, soll auch das Verschwinden der Subventionen gehören. Zudem soll der chronische Diebstahl eingedämmt und obendrein ein tragfähiges Steuer- und Abgabensystem eingerichtet werden.
Unter dem Strich verlangt Raúl von den Kubanern, mehr, effizienter und auch länger zu arbeiten bei unverändertem Lohnniveau. Obendrein hat sich das Parlament nämlich auch mit ersten Vorschlägen zur Reform der Sozialgesetzgebung zu befassen. Da steht die Erhöhung des Rentenalters von derzeit 60 auf 65 Jahre bei den Männern und von 55 auf mindestens 60 Jahre bei den Frauen an. Ähnlich wie in Deutschland tickt die demografische Bombe auch in Kuba. Die Geburtenquote stagniert auf niedrigem Niveau, Kubas Gesellschaft wird schnell älter.
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