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Rechtsextremismus in CottbusSamnang Chan kämpft nicht allein

Am Sonntag wird in Cottbus gewählt, die NPD will ins Stadtparlament. Das demokratische Cottbus wehrt sich. An seiner Spitze: Ein Deutsch-Asiat, der Nudeln brät und für Respekt wirbt.

Der Kandidat für die Grünen in Cottbus: Samnang Chan. Bild: hendrik heinze

Erst wurde er Kandidat. Dann kam die Sorge. Dass die Imbißkunden künftig fernbleiben würden, weil er für die Grünen in das Cottbuser Stadtparlament will. Aber die von der Linkspartei kommen weiter zu Samnang Chan, und auch der ein oder andere Rechtsextreme isst seine Bratnudeln weiter bei ihm, dem Deutschen, der in Kambodscha geboren wurde. "Viele Leute sagen, ich werde dich wählen", sagt er.

Dann eilt der asiatisch aussehende 40-Jährige mit dem schwarz-grauen Schnauzbart zurück an den Wok, die Kunden warten auf Bratnudeln mit Hühnerfleisch und Gemüse. Von Montag bis Samstag und 9 bis 20 Uhr ist Samnang Chan ein Kleinunternehmer, der einen Nudelstand auf dem Kaufland-Parkplatz leitet. Abends und am Wochenende schließt er die Bude zu, wünscht den Nachbarn vom Alibaba-Döner einen schönen Feierabend und zieht aus, um für sein Cottbus zu kämpfen.

Samnang Chan ist Kandidat der Grünen im Cottbuser Plattenbaustadtteil Sachsendorf. Dort geht es am Sonntag nicht nur um den ein oder anderen Sitz im 51-köpfigen Stadtrat. Es geht um die Wurst: Die NPD kämpft mit Macht um einen Erfolg in dem Stadtteil, dessen rechte Vergangenheit wie ein Fluch auf ihm lastet. Samnang Chan kämpft dagegen.

Anfang der 90er Jahre war Sachsendorf Aufmarschgebiet eines wütenden rechten Mobs, der nächtelang das Asylbewerberheim belagerte. Wenn von den No-Go-Areas des deutschen Ostens gesprochen wird, fällt immer auch der Name Sachsendorf. In den 16 Jahren seitdem ist viel passiert, sagt der Stadtteilmanager. Mit vereinten Kräften hat Cottbus den öffentlichen Raum verteidigt – andere sagen zurückerobert. Aber dass die Glatzen nicht mehr an den Straßenecken stehen, heißt nicht, dass es sie nicht mehr gibt.

Hier will die NPD nun erstmals wissen, was ihr in Cottbus gelingen kann, wenn sie sich richtig anstrengt. Es ist der einzige von fünf Wahlkreisen, in dem sie zwei Kandidaten aufgestellt hat. In der Gelsenkirchener Allee hängen die rot-weißen Plakate an fast jeder Laterne. "Der Osten wählt Deutsch", heißt es, oder "Wir bleiben hier! Wir packen an!" Vor 15 Jahren lebten hier 34.000 Menschen. Jetzt sind es noch 13.500.

Vor der Sachsendorfer Oberschule wird der Kampf um die Meinungshoheit mit Aufklebern ausgetragen. "Organisiert die Anti-Antifa" steht auf einem, ein anderer ruft auf zum Gedenken an Adolf Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß. Die Linken kontern mit ihren eigenen Stickern. Ein Sozialarbeiter berichtet von Jugendlichen, die täglich mit dem Fahrrad durch Sachsendorf fahren und nach rechten Aufklebern Ausschau halten.

Sie kleben nicht selbst, sie wollen nur das braune Zeug abreißen, aber seit die Rechtsextremen besseren Kleber verwenden, ist das mühsam geworden. Den Kampf um Sachsendorf kämpft Samnang Chan nicht allein.

Seine Spezialität ist Essen Nummer sechs, mit Fischsauce aus der kambodschanischen Heimat. Drei Euro dreißig bitte, danke, "tschüssi". Die schmale, rahmenlose Brille vom Wahlplakat hat er abgenommen, sie stört beim Kochen. Statt des feinen, türkisfarbenen Hemdes trägt er ein dunkelblaues Poloshirt, auf dessen Brust "Hot Wok Cottbus" steht.

Verprügelt wurde Samnang Chan nie, aber das Gepöbel, das kennt er auch, "Du nimmst uns unsere Arbeitsplätze weg." Wer sagt so etwas, Nazis oder normale Leute? "Das sind auch normale Leute", sagt er, und in diesem Moment ist klar, das er es genau so meint, wenn er vom Respekt spricht, den er für alle Mitmenschen empfindet. Manchmal kommt sogar ein stadtbekannter Rechter an seine Bude, erzählt er. Er glaubt, dass sie ihn respektieren, weil er sie respektiert. Menschlich, nicht politisch. "Ich bin stolz auf mich, dass ich so offen bin", sagt er. Dann muss er weitermachen, eine Kundin will Bratnudeln.

In den Tagen vor der Wahl ist es ruhig in Sachsendorf. Am hellichten Freitag nachmittag hängen Plakatierer der NPD ihre Plakate hoch an die wenigen Laternen, von denen es noch nicht rot-weiß leuchtet. Vor "Manni‘s Markt" stehen die Trinker, wie sie es immer tun. Sonst passiert nichts, sagt die Polizei. "Das macht mich ein bisschen nervös", sagt Lothar Judith. Der DGB-Gewerkschaftssekretär spricht für den "Cottbuser Aufbruch", eine Art Bürgerwehr gegen rechte Umtriebe. Das Bündnis ist meist auf dem Laufenden, wo eine Demo geplant ist und wo ein NPD-Infostand.

Dann rücken Judith und seine Mitstreiter mit braunen "Sondermüll"-Tonnen an, in denen die Passanten die Flyer gleich wieder entsorgen sollen. "Wir haben hier eine funktionierende Telefonkette", sagt Judith. Er weiß, dass das normale, bunte Cottbus nur eine Chance hat, wenn es die Leute so sehr mobilisieren kann, wie die Rechten es tun. Lothar Judith kandidiert selbst, aber diese Sache ist wichtiger: Geht wählen, sagt er. Egal wen, Hauptsache nicht die Nazis.

Bei der letzten Kommunalwahl kam nicht einmal jeder dritte ins Wahllokal. Aber die Wahlbeteiligung entscheidet die Schlacht: Kommen wenige, profitiert die NPD, die ihre Anhänger besser mobilisieren kann als die demokratischen Parteien. Bis zu 1.500 Menschen könnten das sein, schätzt Judith. Wenn es schlecht läuft, ziehen drei NPDler in den 51-köpfigen Stadtrat ein. Wenn es noch schlechter läuft, sogar vier. Soviel braucht es zum Fraktionsstatus mit all seinen Annehmlichkeiten, auch die Grünen werden mit dieser Hürde kämpfen. Leider läuft es manchmal schlecht in Cottbus.

Samnang Chan ist Cottbuser mit Leib und Seele. Seit Anfang der 90er Jahre ist er in dieser Stadt. Seine Politik ist aus dem gewachsen, was er hier erlebt hat. Vor einigen Jahren gründete er den Flüchtlingsverein, weil er anderen die zermürbenden Auseinandersetzungen ersparen wollte, auf dem Arbeitsamt, der Ausländerbehörde, vor dem Verwaltungsgericht. Sein Imbiss steht im Stadtteil Schmellwitz, weil er in Sachsendorf keine Immobilie bekam. Nun kämpft er dafür, dass Jugendliche besser in dem Stadtteil leben und arbeiten können, in dem kein Plätzchen für seine Nudeln zu finden war.

Gegenüber vom Flüchtlingsverein lebt ein Mann mit einem ziemlich braunen Weltbild in einem rosafarbenen Wohnblock. Frank Hübner ist NPD-Kandidat in Sachsendorf, Jahrgang 1966 und in der rechten Szene länger dabei, als manche seiner Mitstreiter leben. Wenn auch nur die Hälfte dessen stimmt, was über ihn geschrieben steht, dann ist er ein dicker Fisch – an einem Gespräch mit der taz hat Hübner kein Interesse.

Schon in der DDR war der gelernte Baumaschinenführer und Bürokaufmann Mitglied einer neonazistischen Wehrsportgruppe. Dann kam er ins Gefängnis, angeblich, weil er Kontakt zu einem Westjournalisten aufnahm. Die Bundesrepublik kaufte ihn frei. Nach der Wende ging Hübner in seinen Geburtsort Cottbus zurück, und baute die Deutsche Alternative (DA) auf, ein Sammelbecken ostdeutscher Neonazis. Hübner war der Bundeschef der Partei, die die Wiederherstellung des Deutschen Reiches forderte und in Cottbus und Umgebung 200 Mitglieder hatte, mehr als die SPD.

Ein Foto von einer Versammlung aus dieser Zeit zeigt einen Saal voller junger Männer, die den rechten Arm zum Kühnengruß recken, dem Hitlergruß zum Verwechseln ähnlich. Eine DGB-Zeitschrift schrieb, auf der DA-Mitgliederliste würden Adolf Hitler, Rudolf Hess, Ernst Röhm, und Joseph Goebbels als Ehrenmitglieder geführt. 1992 verbot das Bundesinnenministerium die Partei.

Am 30. April 2008 um 23 Uhr 38 klingelt bei der Polizei Cottbus das Telefon. Es ist die Nacht vor dem 1. Mai, und die Anwohner Sachsendorfs sind in Angst. Vor der Aral-Tankstelle formieren sich Nazis zu einem Marsch durch das Viertel. Sie tragen Fackeln, rufen "Nationaler Sozialismus – jetzt". 350 "Widerstandskämpfer" wollen sie gewesen sein.

Die Polizei zieht Kräfte aus dem ganzen Land zusammen und trifft auf 200 Menschen. Aus dem Zug fliegen Feuerwerksraketen. Als auch Steine fliegen, nehmen die Beamten 45 Menschen wegen des Verdachts auf schweren Landfriedensbruch in Gewahrsam. Um 0 Uhr 50 ist alles vorbei. In den Wochen darauf müssen 45 Frauen und Männer aus Pirna und aus Riesa, aus Zittau und aus Görlitz aufs Polizeirevier nach Cottbus reisen – und sagen nichts. Die Aufbauhilfe aus Sachsen kommt, weil die Rechtsextremen in Cottbus nicht so groß sind wie ihre Pläne.

"Die Rechtsextremen haben Sachsendorf nie gehabt, und sie werden es auch nie bekommen", sagt Frank Szymanski. In den frühen 90er Jahren war er Schulleiter in Sachsendorf, heute ist er Oberbürgermeister der Stadt.

Seine SPD plakatiert in Sachsendorf "pro Toleranz, contra Fremdenhass." Szymanski hat alle Fraktionen im Stadtparlament hinter sich, wenn es gegen rechtsaußen geht. Das ist nicht selbstverständlich, in Sachsen etwa streitet die CDU, ob NPD und Linkspartei nicht doch gleich behandelt werden sollten. Die Cottbuser Rathausparteien aber wissen, dass ihre Stadt nichts weniger gebrauchen kann als eine Renaissance der Rechten. "Die Zahl der Ausbildungs-, Studien- und Arbeitsplätze steigt", sagt Szymanski. Er sagt auch: "Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit schaden dem Ruf unserer Stadt und vernichten Arbeits- und Studienplätze."

"Es gibt viele nette Menschen hier, wirklich, sehr vernünftig", sagt Samnang Chan. Seine lange Reise nach Cottbus begann 1987, da schlug er sich in ein thailändisches Flüchtlingslager durch. Nach zwei Jahren holte ihn die Bundesrepublik mit anderen Flüchtlingen nach Karlsruhe, dann Eisenhüttenstadt, schließlich Cottbus. Von Chans 20 Jugendjahren in Kambodscha litt das Land mehr als 12 unter den Roten Khmer, die das Land mit Mord und Terror überzogen. Er weiß, wohin es führen kann, wenn Menschen in ihrem Gegenüber nicht mehr den Menschen erkennen.

Am Sonntag ist Wahl. Am Montag um neun öffnet Samnang Chan seine Bude. Dann wird er wissen, ob diese Runde an sie gegangen ist, an ihn und an Lothar Judith, an die Aufkleber-Patrouille auf den Fahrrädern und auch an Frank Szymanski. Samnang Chan ist der einzige Deutsch-Kambodschaner in Cottbus, sagt er. Der einzige, der kämpft, ist er nicht.

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