■ Rechtsextreme Werbespots auch im „Superwahljahr“: Verpaßte Gelegenheit
1993 bescherte NDR-Intendant und ARD-Chef Jobst Plog der Republik mal wieder eine Debatte um die Wahlspots. Weil er rechtsextreme Werbung von DVU, „Republikanern“ und anderen gern aus der ersten Reihe verbannen wollte, schlug er vor, die Pflicht zur Sendung von Gratis-Wahlspots aus den Rundfunkgesetzen zu streichen. Das hätte Plog möglicherweise auch zukünftigen Rechtsstreit in der eigenen Anstalt erspart. Gegen den NDR klagt eine Angestellte, die abgemahnt wurde, weil sie keine rechtsextremen Wahlspots versenden mochte.
Doch es blieb bei einer Diskussion – denn den Ministerpräsidenten der Bundesländer ging das Parteiinteresse über alles. Sendeplatz ist Sendeplatz, Sekunde ist Sekunde, das wissen die Wahlkampfmanager ganz genau. Ebenso genau wissen sie natürlich, daß sich sogenannte Politikverdrossene ganz bestimmt nicht von ihrer Art der Waschmittelwerbung beeindrucken lassen.
Nur das kleine Radio Bremen spielt also 1994 wieder einmal die Rolle des gallischen Dorfs und läßt keine Wahlspots zu – dort stehen sie auch nicht im Gesetz. Links, wo man an den Wechsel der Zeitgeistgezeiten trotz des Heitmann-Tests noch nicht so recht glauben will, wurde die Wahlspot-Debatte um den Begriff der „Zensur“ geführt. Daß die „Reps“ das Lied vom Tod spielen, müsse eine Demokratie schon aushalten. Ein gepflegter Austausch von Sachargumenten wurde da imaginiert, wo es um bloße Ressentiments geht; wo die Neonazisten Scheinparteien zwecks Geldgewinnung gründen und Dummbeutel auf die Listen setzen, die keinen ganzen Satz sprechen können. In der rechten Mitte wurde die Debatte schlicht ausgesessen, man wußte um die Präsenz der eigenen Leute in Rundfunkräten und Parlamenten. So blieb das ZDF genauso bräsig bei seinen Wahlspots, wie es an der Heesters-Gala festhielt, und faselte vom möglichen „Mißbrauch“ der Gratiswerbung, dort wo es schlicht um „Gebrauch“ geht.
Rechts außen wurde gar nicht diskutiert, sondern ganz rechtsstaatlich und öffentlichkeitswirksam der Klageweg beschritten. Die Rechtsradikalen reden ganz offen darüber, daß sie sich keine Mühe geben, „konspirativ zu sein“ (E. Althans). Sie nutzen jede Gelegenheit, ob Dokumentarfilm, Kurzwelle, Satellit oder Wahlspot.
Den Bundesrundfunkern von der Deutschen Welle, die weltweit in Radio und Fernsehen Nachrichten aus der Heimat verbreiten, graut besonders vor der Wahlspotpflicht. Wie wird die Neonazi-Reklame des Jahrgangs 1994 wohl in Israel ankommen, wo das Auslands-TV der Deutschen Welle eine besonders große Fangemeinde hat? Kein Wunder, daß der Rundfunkrat der Deutschen Welle zum Jahresende noch einmal eine Änderung des Bundesrundfunkgesetzes gefordert hat. Die Aussichten der Deutschen Welle dürften besser sein als die der Kollegen Inlandsfunker. Geht es hier doch um weltweite Wirtschaftsinteressen, um den „Standort Deutschland“. Hans-Hermann Kotte
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