■ Realo Udo Knapp zu seinem Austritt aus der Grünen Partei: „Ich war der nützliche Idiot“
taz: Warum bist Du gerade jetzt ausgetreten?
Udo Knapp: Der letzte Anlaß war die große Berliner Demonstration und die Diskussion um das Asylrecht. Die Grünen haben auch in dieser Frage, genauso wie die Linken in den letzten 20 Jahren, nach der identitätstiftenden Differenz zwischen sich und dem Rest der Republik gesucht. Selbst in dieser schwierigen Situation, in der es um eine gemeinsame Haltung gegen den rechten Terror geht, mußten sich die Grünen wieder einmal beweisen, daß sie die besonders Moralischen sind. Die Berliner Demonstration war der erste Versuch, eine breite demokratische Mehrheit zusammen auf die Straße zu holen. Statt Abgrenzung hätte ich von den Grünen Unterstützung erwartet.
Sehr viele Grüne sind doch in Berlin mitmarschiert.
Das ist richtig. Aber wenn Du die taz gelesen hast, dann ist Dir vielleicht aufgefallen, mit welcher Häme sich einige Funktionäre der Partei gegen die Bundesregierung abgegrenzt haben: Mit denen unter keinen Umständen. Es war dieselbe Arbeitsteilung wie immer. Die Grünen haben mit ihrer Kritik den Spielraum erzeugt, damit andere die Eier werfen konnten.
Die Grünen sind eine Oppositionspartei, und deren Aufgabe ist es, die Bundesregierung und ihre Politik zu kritisieren. Und an der Asyl- und Ausländerpolitik gibt es sehr viel zu kritisieren.
Eine Opposition muß auch in der Lage sein, Verantwortung für das Gemeinsame zu übernehmen. Und in manchen Situationen muß man Gemeinsamkeit signalisieren. Das ständige Reklamieren, das bessere Deutschland zu vertreten, ist sicher nicht die einzige Aufgabe einer Oppositionspartei. Es geht in der vereinigten Bundesrepublik um einen gemeinsamen Neuanfang und um ein Stück demokratische Befestigung. In dieser Lage gehören die Grünen nicht ins außerparlamentarische Spektrum, sondern in die Mitte der Republik. Dort wollen sie aber nicht hin.
In der Ausländer- und Asylpolitik vertreten die Grünen eine kategorisch moralische Position. Gibst Du mir Recht: Als Gegenpart zum Ausländerhaß und zur Fremdenfeindlichkeit kann solch eine Haltung nur guttun?
Die Grünen vertreten vor allem eine Verweigerungshaltung. Der Vorschlag, ein Einwanderungsgesetz mit einer Reform des Artikel16 zu verbinden, liegt in der Partei seit langem auf dem Tisch. Auf den Parteitagen wird aber bis heute für das Prinzip der offenen Grenze votiert. Diese Haltung ignoriert ganz einfach die realen Probleme im Zusammenleben mit einer wachsenden Zahl von Ausländern. Sie ignoriert die Ängste, die die Menschen haben. Diese Ängste sind noch lange keine Ausländerfeindlichkeit. Aber so differenziert kann man bei den Grünen dieses Problem nicht diskutieren.
Du bist zu einem Zeitpunkt ausgetreten, an dem die Karten neu gemischt werden. Die Fusion mit dem Bündnis 90 könnte den Grünen eine neue Dynamik bringen. Warum hast Du nicht abgewartet, wie sich das entwickelt?
Die Bürgerbewegung kommt viel zu spät zu den Grünen. Jetzt ist fast nichts mehr von ihr übrig, und sie läuft Gefahr, bei der nächsten Bundestagswahl im Nichts zu versinken. Die Hoffnung auf einen Impuls aus der Bürgerbewegung kann ich nicht teilen. Sieh Dir die Personen genau an, die jetzt dazukommen. Dann wirst Du feststellen, daß sie bis auf wenige Ausnahmen wunderbar zu den Grünen passen. Eine Liberalisierung oder Öffnung der Partei ist jedenfalls nicht zu erwarten.
Wie siehst Du die Zukunft der Grünen?
Sie werden in den Bundestag kommen, aber sie werden keine wichtige politische Rolle spielen. Die großen Parteien werden abschmelzen und können dann eine Große Koalition bilden, die nur noch eine kleine Große Koalition ist. In dieser schwierigen Phase der Bundesrepublik halte ich das auch für das Richtige.
Dann hätten die Grünen als wichtigste Oppositionspartei eine ganz entscheidende Rolle. Denn sonst sitzt dann nur noch Herr Schönhuber und eine überflüssige FDP auf der Oppositionsbank?
Es ist Joschka Fischers Kalkül, in Bonn der große Oppositionsführer zu werden. Aber diese Rolle muß man ausfüllen können. Wenn ich mir die Grünen ansehe, dann muß ich leider feststellen, daß sie zu den wichtigsten politischen Fragen nichts zu sagen haben. Bei der deutschen Einheit vertreten sie eine leicht radikalisierte SPD-Position. In sozialen Fragen sind sie ebenfalls sozialdemokratisch. In der Umweltpolitik...
...hat die SPD die Positionen der Grünen übernommen. Sieh es doch auch mal andersherum.
Gut, von mir aus. Aber wozu brauchen wir da noch eine Grüne Partei? Sie hat vielleicht einen gewissen Unterhaltungswert, aber mehr nicht. Die Grünen hätten eine echte Alternative zu den großen Parteien werden können, diese Chance haben sie verspielt.
Günther Grass hat einmal gesagt, er sei mit sich selbst nur zu 50 Prozent zufrieden, wie könne er da mit seiner Partei voll zufrieden sein. Bei den Grünen wollen alle immer die 100prozentige Zufriedenheit, weil sie innerlich mit der Partei verheiratet sind. Die Alternative zu den Grünen ist aber, wenn Du bei der SPD nicht fünf Jahre lang Unterkassierer sein willst, die politische Abstinenz.
Der Verlust einer großen Hoffnung ist immer bitter. Deshalb ist mir der Austritt auch nicht leicht gefallen. Ich habe mich immer in politischen Zusammenhängen bewegt, und natürlich fehlt mir jetzt etwas. Aber im Grunde war ich isoliert. Ich war die Zugnummer am rechten Rand der Partei, und das wollte ich nicht länger sein. Es ist auch eine mentale Frage, wie lange man diese Rolle am Rand einer Partei durchsteht. Ich will nicht länger der nützliche Idiot sein, der auf Parteitagen durch Ausgrenzungsrituale die Mehrheitsbildung ermöglicht und sonst keine Chance hat, politische Verantwortung bei den Grünen zu übernehmen.
Willst Du zur SPD wechseln?
Ich bin hier Dezernent und Beigeordneter auf der Insel Usedom und habe viel zu tun. Abwasserprobleme, Sozialhilfe, Krankenhausplanung, Wohngeldstelle, Jugendheime, Naturschutz: Es wird mir nicht langweilig. In der politischen Praxis hier vor Ort fällt einem erst auf, wie sehr die Menschen in den neuen Bundesländern um die Demokratie kämpfen und welche Anpassungsleistungen sie vollbringen. Das kann sich mancher arrogante West-Grüne kaum vorstellen.
Die Arroganz gegenüber den Ossis ist sicher keine Spezialität der Grünen. Aber Du scheinst die Partei noch nicht zu vermissen?
Natürlich vermisse ich sie, weil mir dieser politische Zusammenhang fehlt. Aber ich war einfach an einem Punkt, an dem ich nicht mehr weiterkonnte. Und ich konnte auch die Heucheleien nicht mehr ertragen. Interview: Manfred Kriener
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