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■ Reaktionen zu den Beiträgen von Viola Roggenkamp und Ulrike HerrmannKampf ja, Krieg nein

betr.: „Eine Befreiung“, Schlagloch von Viola Roggenkamp, taz vom 14. 11. 01

In den intellektuellen Diskurs über die Rechtfertigung, Diktaturen und Systeme gegebenenfalls durch Bomben und Raketen auszuschalten, hat sich der Vergleich zu Hitler-Deutschland als das Böse schlechthin eingeschlichen. Unter diesem Vergleich wird jeder Krieg, ob gegen Irak, gegen Serbien oder Afghanistan, zu einem unvermeidbaren und gerechten Krieg und als solcher vor dem Gewissen gerechtfertigt, wenn nicht sogar oberstes Gebot. In diesem Diskurs wird Krieg nicht zum Zeichen verfehlter Politik, sondern zur Ultima Ratio schlechthin. [. . .]

Es könnte sich als inflationär und historisch gefährlich erweisen, jedes menschenverachtende System mit dem Nazi-Deutschland in Vergleich und Beziehung zu setzen. Auch und gerade weil die Shoa mit nichts zu vergleichen ist. Hitler mutiert auf diese Weise zu einer irrealen Person, einem Teufel oder einem deutschen Dracula. Die reale Mitverantwortung Europas am Großwerden Hitlers gerät aus dem Focus und entzieht uns die Möglichkeit, aus der Geschichte zu lernen.

Am Ende steht die scheinbar unvermeidbare Eskalation, die kriegerische Intervention. Doch sie ist immer auch Zeugin einer verfehlten Politik. Es ist zu befürchten, dass sie die Norm bleiben wird, solange die Ergebnisse der Friedensforschung nicht Eingang in die reale Politik der Regierungen finden.

TABEA HUBER, Berlin

Ich gebe Frau Roggenkamp Recht darin, dass die Taliban – und einige andere muslimische Regierungen – eine frauen- und menschenfeindliche Politik betreiben. [. . .] Frau Roggenkamp spricht aber vom Krieg gegen andere Länder, die keinen eigenen Widerstand formieren können oder sogar wollen (!). Das verstößt gegen die oberste Direktive der Sternenflotte.

Es kann auch nicht den Angriff der Amerikaner rechtfertigen, weil es den Amerikanern nicht darum geht, die afghanische Frau zu befreien, sondern die Attentäter zu finden und ihre Macht zu demonstrieren. Hätte Frau Roggenkamp denn auch ohne den11. September für Krieg plädiert?

Die Frauen im Orient können nur durch Aufklärung befreit werden. Kampf ja, Krieg nein. ANIS HAMADEH, Kiel

betr.: dito und „Recht auf Irrtum“ von Ulrike Herrmann

Es ist aufschlussreich, wie die Argumente sich mit dem Kriegsverlauf wandeln. Hieß es erst, man müsse gegen Terroristen und ihre Helfershelfer bomben, so liest man nun, es gehe darum, den Menschenrechten in Afghanistan den Weg freizuschießen. Ulrike Herrmann beziffert ihren Wert auf zirka 2.000 tote Zivilisten (Operation geglückt, Patient tot?), Viola Roggenkamp nennt für die Befreiung vom Klerikal-Faschismus klugerweise kein Kollateral-Maximum. Damit sprechen beide offen aus: Dieser Krieg hat nichts mit Selbstverteidigung zu tun, er ist ein politischer Krieg mit dem Ziel, die Taliban zu stürzen.[. . .] Niemand beschönigt die frauenfeindliche Diktatur der Taliban. Diese jedoch mit dem NS kurzzuschließen und den Siegeszug eines Haufens von Banditen und Vergewaltigern namens Nordallianz als Erfolg der Menschenrechte zu werten, verharmlost die Nazi-Verbrechen und enthebt sich selbst der Realität. Wie kommt es wohl, dass die afghanische Frauengruppe Rawa, die unter ständiger Lebensgefahr gegen die Taliban operiert, von Anfang an gegen den Krieg war? [. . .]

JOSCHA ZMARZLIK, Dresden

Welcher Kriegsgegner kann von 2.000 „vertretbaren“ Toten sprechen? Mir wurde schlecht, als ich das las. Nach meinem Verständnis ist jeder Tote ein Toter zu viel, und Krieg ist ein Armutszeugnis unserer Zivilisation. [. . .] DAVID SIKORA, Hünfelden

Egal welche Entscheidung die RepräsentantInnen im Bundestag fällen, alle werden letztlich ein Stückchen Schuld tragen müssen. Wer den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan befürwortet, muss mit der Verantwortung für gefallene Soldaten und getötete Zivilisten leben. [. . .] Doch auch jene, die den bewaffneten Einsatz ablehnen, machen sich schuldig. So wie sich ein Mensch schuldig macht, der einem Schwächeren nicht beisteht. Wer die unterdrückte, terrorisierte Bevölkerung Afghanistans sich selbst überlässt und sich in seinem Wohlstandswohnzimmer einer Gut-Menschen-Philosophie hingibt, die/der ignoriert die Realität. Das ist verständlich – von der Schuldfrage erlöst dieses Verhalten nicht. [. . .] ROLAND BÖSKER, Hauptmann der Reserve, Hamburg

Nun denn, Frau Herrmann, es gibt noch einige andere Regime dieser Welt, deren (militärische) Bekämpfung im Sinne der Menschenrechte gerechtfertigt scheint. Rüsten wir also die Bundeswehr auf zum Kampf gegen die Folterer und Diktatoren! Wie einfach auf einmal alles scheint. GEORG BÖKER, Hamburg

Wer 2.000 tote Zivilisten akzeptiert, um einen dann „menschenwürdigen“ Frieden zu schaffen, widerspricht sich selbst. Wer legt hier die Grenze fest, wann die Zahl der Kollateralschäden im Tausch mit einer gerechten und menschenfreundlichen Post-Taliban-Regierung vielleicht doch zu hoch erscheint? Wer möchte schon so pervers sein?

Genauso wie Ulrike Herrmann ein „Recht auf Irrtum“ hat, welches sie hier wirklich gebraucht hat, haben alle Zivilisten ein Recht auf ihr Leben. Dies ist ein Menschenrecht!

SEBASTIAN KREUZ, Berlin

Ich denke, ich lese nicht richtig: „Zahl der zivilen Opfer . . . etwa 2.000 . . . Bilanz der Opfer vertretbar.“ Isses mal wieder so weit, so mit Menschenmaterial und Kriegskrediten und Hurra und so weiter? [. . .] LUDWIG GEBAUER, Adenbüttel

Die Redaktion behält sich den Abdruck sowie das Kürzen von Briefen vor. Die erscheinenden LeserInnenbriefe geben nicht notwendigerweise die Meinung der taz wieder.

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