Rauswurf des Milchmannes

Nordmilch betätigte sich als Sponsor im Radsport, ließ das Team Milram von einem Stasi-Major managen und fand nichts dabei – bis es zum plötzlichen Sinneswandel kam

BERLIN taz ■ „Immer schön lecker bleiben“, wirbt Milram für seine Milchprodukte. Der Hersteller von Frischkäse, Jogurt und Quark gehört zum Nordmilch-Konzern mit seinen insgesamt 15 Molkereien und einem Jahresumsatz von zwei Milliarden Euro. Nordmilch gilt als Deutschlands größter „Milchverarbeiter“. Vor geraumer Zeit hat Nordmilchs Milram einen Plan geboren. Marketingstrategen wollten den Bekanntheitsgrad der Marke steigern. Der Radsport kam gelegen.

Die Milchmixer stiegen bei den Pedaleuren ein, mit etwa sechs Millionen Euro, die an einen neuen Radrennstall flossen. Der nennt sich Milram. Werbeträger Nummer eins ist Erik Zabel, der auf seine alten Tage das Team T-Mobile verlassen hat. Das Team Milram ist hervorgegangen aus den Radgruppen Domina Vacanze und Wiesenhof. Milram ging geradezu euphorisch in die neue Partnerschaft: Man wolle „den Enthusiasmus in den südlichen Ländern“ für das eigene Produkt nutzen. Und weiter: „Radsport steht für Frische und Natürlichkeit. Diese Attribute wollen wir auch auf unser Produkt projizieren.“ Eine überraschende Sichtweise, halten doch viele Radsportkenner den Leistungsaufbau der Cracks für erfrischend unnatürlich. „Milch macht müde Männer munter“, den Spruch kennt man, aber manchmal reichen Proteine allein nicht aus.

Die Projektion von Frische und Natürlichkeit scheint bereits zu Beginn des Milram-Experiments im Radsport nicht recht zu funktionieren, denn der Manager des Teams, Jörg Strenger, hat eine Vergangenheit, die ganz andere Attribute provoziert. Strenger war Major der Staatssicherheit. In der Leipziger Abteilung XX spielte er eine traurige Hauptrolle in der Verfolgung Oppositioneller. Seine 97 Mann starke Truppe überwachte Verdächtige in Massenmedien, im Sport und an Universitäten. Nach der Wende machte Strenger in Milch – mit seiner Firma Sahneböhm GmbH. Und er machte in Radsport. Er kümmerte sich um die Friedensfahrt, jene Dreiländer-Tour durch Polen, Tschechien und Deutschland, die in glorreichen Tagen den DDR-Sportideologen als Gegenentwurf zur Tour de France diente. Auf seine Stasi-Tätigkeit angesprochen, sagte Strenger einmal: „Ich arbeite nach den Gesetzmäßigkeiten der Marktwirtschaft. Der Rennstall Wiesenhof würde ohne mich nicht existieren. Fragen Sie die Sportler, sie stehen alle hinter mir.“ Den Stasi-Opfern unterstellte er, „die Wende nicht so recht geschafft zu haben“.

Strenger hatte es geschafft. In der kommenden Saison sollte er einen großen Rennstall managen, mit Zabel und dem italienischen Sprintstar Alessandro Petacchi. Nordmilch wischte die Einwände gegen Strenger beiseite. Noch bei der ersten Teampräsentation in Madrid vor Wochenfrist sagte Firmenchef Stephan Tomat: „Damit haben wir keine Probleme, ich habe Herrn Strenger als sehr umtriebigen und verlässlichen Partner kennen gelernt.“

Ein ehemaliger Teamkollege Zabels fand für die ostdeutsch-italienische Zweckgemeinschaft indes ätzende Worte: „Stasi trifft Mafia.“ Neben Strenger gibt es einen zweiten belasteten Mitarbeiter im Team der radelnden Milchmänner: Michael Schiffner, ehemals sportlicher Leiter bei Wiesenhof, in Stasi-Akten als IM „Frank Fischer“ geführt. Auch er sollte bei Milram an wichtiger Stelle mitmischen. Doch Nordmilch hatte „das Aufkochen alter Dinge“ (Strenger) unterschätzt. Das Unternehmen reagierte am Dienstag. Firmenleiter Tomat wollte nun plötzlich Tabula Rasa machen, einen „Schlussstrich ziehen“ und räumte in der Welt ein: „Wir hatten anfangs kein Problembewusstsein für dieses Thema.“ Moral und Ehrenkodex hätten für sein Unternehmen einen hohen Stellenwert, also seien die Sachsen mit der zweifelhaften Vergangenheit nicht mehr tragbar. Die Einsicht kam spät, aber sie kam.

Der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) hatte jahrelang keine Probleme, mit Strengers Friedensfahrt eine „Medienpartnerschaft“ einzugehen. Ostalgische Gefühle waren Milram freilich fremd. MARKUS VÖLKER