Rausschmiss: Fertig studiert
An der HU laufen die Magisterstudiengänge aus. Rund 700 Studierende werden zwangsexmatrikuliert.
Am 31. März ist Schluss: Die Humboldt-Universität (HU) schafft am Montag einen großen Teil ihrer alten Magisterstudiengänge ab. Über 700 Studenten sollen deshalb nächste Woche exmatrikuliert werden. Die Studierendenvertreter vom AStA sind empört – und drohen mit einer Klagewelle.
Grundlage für den Rausschmiss ist das Berliner Hochschulgesetz. Dort ist festgelegt, dass Diplom- und Magisterstudiengänge nicht mehr eingerichtet oder weitergeführt werden. Seit der Bologna-Reform 1999 wurden sie sukzessive durch Bachelor- und Masterstudiengänge ersetzt. Nun hat das alte System endgültig ausgedient.
Betroffen sind zum Sommersemester mehr als 70 Magisterstudiengänge, hauptsächlich an der Philosophischen Fakultät. In den kommenden Semestern sollen weitere Studiengänge folgen. Der Zeitpunkt ist davon abhängig, wann die neuen Abschlüsse eingeführt wurden und wann die letzten Einschreibungen in die alten Studiengänge erfolgt sind.
Joao Fidalgo, Referent für Lehre und Studium des Allgemeinen Studierendenausschuss AStA, hält die Exmatrikulation „für politisch und rechtlich nicht haltbar“. Die Universität müsse besondere soziale Härtefälle berücksichtigen. „An der HU geschieht das nicht“, kritisiert Fidalgo. Zwar hätten Studenten theoretisch die Möglichkeit, einen Verlängerungsantrag zu stellen, jedoch würden diese von der HU „am laufenden Band abgelehnt“.
Fidalgo kritisiert auch die Informationspolitik der HU: „Man hat das Gefühl, dass niemand von der Antragsmöglichkeit erfahren soll.“ Dabei seien von der Exmatrikulation vor allem Studenten betroffen, die mit besonderen Umständen zu kämpfen hatten. „Wenn jemand lange krank war, zur Finanzierung des Studiums arbeiten musste oder alleinerziehender Elternteil ist, dann kann sich das Studium schnell auf die doppelte Regelstudienzeit ausweiten“, erklärt Fidalgo.
Steffan Baron, Leiter der Studienabteilung an der HU, kann die Kritik des AStA nicht nachvollziehen. Die Härtefälle würden einzeln und gründlich von den zuständigen Ausschüssen geprüft. „Dabei wird besonders berücksichtigt, wie der Studienfortschritt seit der Bekanntgabe des letzten Prüfungstermins war“, erklärt Baron.
Bereits 2012 habe die Universität festgelegt, wann die Studiengänge auslaufen. „Die Studenten wurden damals unmittelbar persönlich angeschrieben“, sagt Baron. Seitdem sei genügend Zeit gewesen, um alle Scheine und Prüfungen auf den Weg zu bringen.
Der AStA hält dagegen: „Es gibt viele Leute, die versucht haben, in den zwei Jahren noch alles zu machen“, sagt Fidalgo. „Aber in manchen Fällen geht es einfach nicht.“
So ein Fall ist Bettina Schulz. Sie studiert seit 24 Semestern Erziehungswissenschaften, Soziologie und Afrikawissenschaften. Als vor zwei Jahren klar wurde, dass ihr Studiengang eingestellt wird, war sie entschlossen, ihr Studium abzuschließen. Aber dann kam die zweite Schwangerschaft dazwischen. „Da ging bei mir gar nichts mehr“, sagt Schulz.
Im Februar hat die 35-Jährige ihren Härtefallantrag gestellt. Noch hat sie keine Antwort erhalten. Aber schon vorher wurde ihr gesagt, dass eine Schwangerschaft allein kein ausreichender Grund für eine Verlängerung ist.
„Kinder an sich sind nach geltender Rechtssprechung kein Hinderungsgrund“, sagt Baron. Schließlich könnten auch Erwerbstätige in der Schwangerschaft nicht neun Monate pausieren. Wenn jedoch noch andere besondere Umstände hinzukämen, hätte der Antrag durchaus Chancen auf Erfolg.
Die meisten Fälle seien aber ohnehin viel eindeutiger. 90 Prozent der von der Zwangsexmatrikulation bedrohten Studenten hätten keinerlei Beratungsangebote in Anspruch genommen, sagt Baron.
In die betroffenen Magister-Studiengänge konnte man sich nur bis zum Wintersemester 2003/04 einschreiben. Wer jetzt exmatrikuliert wird, hat also mindestens zehn Jahre studiert – mehr als das doppelte der Regelstudienzeit.
Neben dem Härtefallantrag haben Langzeitstudierende noch eine andere Chance: den Wechsel in einen Bachelorstudiengang. 60 Studierende haben das Angebot laut Baron bereits angenommen.
Für Bettina Schulz kommt ein Wechsel jedoch nicht infrage. „Der Bachelor ist gleichwertig mit meinem Grundstudium“, sagt die gebürtige Berlinerin – das hat sie bereits. Wenn ihr Antrag auf Verlängerung nicht genehmigt wird, will sie klagen.
Vier Klagen liegen der Universität schon jetzt vor. Der AStA hat angekündigt, alle Studenten zu unterstützen, die rechtlich gegen die Exmatrikulation vorgehen wollen. Viele würden erst in der nächsten Woche Antwort auf ihre Anträge erhalten, sagt Fidalgo.
Andere Berliner Hochschulen lassen sich noch etwas mehr Zeit mit der Massenexmatrikulation. So enden an der Technischen Universität viele Studiengänge erst zwischen 2016 und 2018. Die Freie Universität will 2015 die ersten Studiengänge einstellen.
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