Rauchverbotspionier Binding: Der Schrecken der Tabaklobby
Bis vor zwei Jahren kannte keiner den SPD-Lokalpolitiker Binding. Doch er hat durchgesetzt, was ihm niemand zugetraut hätte: Das Rauchverbot in den Gaststätten.
Alle schauen sie auf Binding. Der Mann vom Berliner Bezirksamt, der seit Jahren die Zigarettenkonzerne mit Totenkopfplakaten ärgert. Die beiden Mediziner, die recherchiert haben, wie die Tabakindustrie Forscher bestochen hat. Die streng blickende Dame im roten Pullover, die wohl zum Nichtraucherbund gehört oder ihr eigener kleiner Verein ist. Sie alle gucken den Lulatsch an, den sie bis vor zwei Jahren noch nicht kannten. Er kam aus dem Nichts. Ein machtloser Heidelberger SPD-Abgeordneter. Aber er hat durchgesetzt, was sie jahrelang erfolglos verlangt haben. Rauchen in Restaurants und Kneipen ist stark beschränkt, in Zügen und Taxis verboten.
Lothar Binding hat Rotkäppchen-Sekt und belegte Brötchen bestellt für diesen Abend. Er hat ein Café in einem Haus in Berlin-Mitte angemietet, in dem früher ausgerechnet der Verband der Cigarettenindustrie residierte. Der Verband hat sich aufgelöst - kleine Gemeinheit, dass Binding hier sein Buch mit dem Titel "Kalter Rauch" vorstellt. Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Sabine Bätzing, hält eine Lobrede. Der Abend könnte eine rauschende Siegesfeier werden und Binding ihr Mittelpunkt.
Doch je öfter Bätzing von "Meilensteinen" spricht, umso unsicherer lächelt Lothar Binding. Alle paar Sekunden wechselt er Standbein und Spielbein. Nach der Rede führt er vor, wie er früher als Lehrling bei Siemens gequalmt hat. Mit der Fluppe zwischen den Lippen, damit er die Hände frei hatte. Roth-Händle. Vier Schachteln. Am Tag. Die Qualmgegner lächeln höflich, die Dame im roten Pullover versucht ein Schmunzeln. Sein Verleger unterdrückt ein Gähnen.
Er könnte als souveräner Sieger auftreten, als Unermüdlicher, der donnernd dazu aufruft, nicht nachzulassen im Kampf gegen den Tabak, gerade jetzt, wo die CSU in Bayern die Verbote wieder aufweichen will. Aber Binding erfüllt nie Erwartungen. Deswegen gewinnt er.
Binding ist 57 Jahre alt. Er fällt auf mit seinen 1,95 Metern, den Rettungsschwimmerschultern und dem kleinen Kopf. Vorsichtig bewegt er sich im Raum, seine Stimme ist hell. An der Tür seines Bundestagsbüros klebt ein Wahlplakat. Darauf sieht man Binding und Darth Vader aus "Krieg der Sterne". Der Politiker hält Vaders Leuchtschwert fest. Andere Politiker fänden das peinlich.
Binding betreibt Politik wie die "Sendung mit der Maus". Lach- und Sachgeschichten. Als er 1998 für den Bundestag kandidierte, dachte er sich etwas aus. Er bestellte die Feuerwehr auf den Heidelberger Marktplatz und 130 Strohballen dazu. Dreieinhalb Ballen zündete er an. Den Schaulustigen erklärte Binding, dass die 130 Ballen für die Weltölvorräte stehen. Die dreieinhalb brennenden waren der Jahresverbrauch, ohne China.
Als er gewählt war, lief er mit der Digitalkamera durch die Gänge des Bundestags wie einer vom Bürgerfernsehen. Er interviewte Minister und Abgeordnete. Was macht das Parlament den ganzen Tag? Was ist die Unternehmensteuer? Die Aufnahmen zeigte er in seinem Wahlkreis.
So funktioniert auch ein Teil seines Buchs. Er hat sich in die Geschichte der Zigarette eingearbeitet und einen Herzspezialisten interviewt. Er hat sich mit seinen Gegnern getroffen: dem Boss der Zigarettenlobby, der Geschäftsführerin des Gaststättenverbandes. Ein Lobbygespräch, das der Politiker auf Tonband aufnimmt, ist in Berlin etwa so üblich wie Nacktbaden vorm Kanzleramt.
Binding erklärt gerne. Er kann es nicht leiden, etwas nicht zu verstehen. Dieses Gefühl, wenn jemand so tut, als wäre etwas der leichteste Zusammenhang der Welt, und man sich nicht zu fragen traut. Nach der vierten Klasse durfte er nicht aufs Gymnasium. Die Deutschnote war zu schlecht. Wenn er mit dem 6.20-Uhr-Bus zur Berufsschule fuhr, traf er die Leute aus seiner alten Klasse. Sie prahlten. Binding konnte kein Latein. Er nahm den 6.05-Uhr-Bus.
Bindings Vater, ein Lehrer, hat dem Sohn gesagt: "Wer wirklich gut ist, braucht es nicht zu zeigen." Der Sohn machte das Abitur nach und studierte Mathematik. Er lernte zu fragen, es gefiel ihm. "Fragen macht stark", sagt er gern.
Vor zwei Jahren besuchte er das Krebsforschungszentrum in Heidelberg, in seinem Wahlkreis. Die Leute dort legten ihm ihre Zahlen vor. Über 3.000 Tote durch Passivrauchen im Jahr. Binding hörte es sich an. Er fragte sich: Warum tut die Politik nichts? Er beschloss, selbst etwas zu unternehmen.
Wie packt man so ein Vorhaben an? Er fragte seinen Fraktionschef. Peter Struck ist Raucher. Ohne Pfeife würden ihm außerhalb des Politbetriebs als Markenzeichen nur brummelige Stimme und Glatze bleiben. Er soll sich beim ersten Termin mit Binding eine angezündet haben. Struck riet seinem Abgeordneten zu einem Gruppenantrag. Das ist ein Antrag, den eine Reihe Abgeordnete über die Grenzen ihrer Fraktionen ins Parlament einbringen können. Eine Art Sonderweg für welche, die unbedingt aus der Reihe tanzen müssen. Struck muss den Gruppenantrag für ungefährlich gehalten haben, zumal er die Regierung erst einmal aufforderte, ein Gesetz zu erarbeiten. Später steckte der Fraktionschef Binding in eine Arbeitsgruppe von Union und SPD. Die Union war tabakfreundlich.
"Ich hatte immer das Gefühl, der Peter Struck behandelt mich fair", sagt der Abgeordnete, wenn er heute die Geschichte erzählt. Manchmal fragt man sich, ob Binding sich dumm stellt. Wenn, dann macht er das sehr geschickt.
Im Grunde hat Struck Binding immer in Sackgassen geschickt. Er marschierte los, aber er produzierte immer etwas Unerwartetes. Der Gruppenantrag erhielt in Rekordzeit 150 Unterschriften aus allen Fraktionen. Binding tauchte im Radio und in Zeitungen auf, der Verbraucherminister schlug sich auf seine Seite. Als die Arbeitsgruppe kam, erstellte das Innenministerium rasch ein Gutachten, das erklärte, für Rauchverbote seien die Länder zuständig. Binding verhandelte weiter, als wäre nichts. Die Regierung stoppte das Ergebnis: Der Bund ist nicht zuständig! Das Getöse war so laut, dass die Verbotskampagne in die Länder schwappte. Dort telefonierte Binding die halbe SPD ab. "Er hat eine Riesenmobilisierungswelle losgetrampelt", sagt Lars Großkurth, der Reemtsma-Pressesprecher.
Am Anfang haben die Tabaklobbyisten gelächelt, wenn sie über den SPD-Abgeordneten sprachen. Der Binding. Niedlich. So lief die Strategie der Zigarettenleute seit Jahrzehnten: die Qualmgegner lächerlich machen. Dafür gab es sogar einen Fachausdruck: Ridikülisieren. Aber wie soll man jemanden ridikülisieren, der sich mit Darth Vader auf einem Plakat zeigt? So einer belächelt sich doch selbst.
Lothar Binding lehnt an einer Balustrade im Paul-Löbe-Haus des Bundestags. Er posiert für die Fotografin. Gegenüber fläzen sich ein paar aus der Fraktion um ein Tischchen und machen Mittag. Neugierige Blicke. Tuscheln. Einer ist Jörg Tauss, der Generalsekretär in Bindings SPD-Landesverband. "Lothar, doch nicht mit der Krawatte!", juxt er rüber. Die anderen feixen. Unser Lothar. So berühmt geworden. Binding schaut auf seine Krawatte. Er grinst. Gelbe und blaue Wale. "Lothar, is gut jetzt!", ruft Tauss rüber und bröselt sich Essen auf den Anzug.
Bindings Vater ist 1970 an Lungenkrebs gestorben. Lord Extra. Danach steigerte der Sohn den Zigarettenverbrauch. In seinem Buch beschreibt er, wie sich die Gespräche über Krebs und Tabak in seine Gedanken drängten. Er schreibt, dass er die Sucht mit Nikotin bekämpfen wollte. Erst sechs Jahre später hörte er auf, von einem Tag auf den anderen.
Dreißig Jahre später, nach seinem Besuch im Krebsforschungszentrum, saß er abends am Computer. Er hatte viele Fragen. Im Netz fand er Seiten von Rauchern, die Nichtraucher verunglimpften, surfte durch die aggressiven Beiträge der Tabakgegner. Er stieß auf Seiten der Zigarettenindustrie, die behauptete, das Rauchen von Jugendlichen verhindern zu wollen. Er las die halbe Nacht.
Im Buch vermeidet er, zu schreiben, wie der Tod des Vaters seine Kampagne beeinflusst hat. Aber es gibt diesen einen Satz, als er erzählt, wie er am Computer über den Tabak recherchiert hat: "Ich habe noch nie so viel Scheinheiligkeit erlebt wie in dieser Nacht." Der Satz klingt gar nicht nach Lothar Binding, dem merkwürdigen Abgeordneten aus Heidelberg, der eine helle Stimme hat und lustige Aktionen veranstaltet.
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