Rassenhygiene im „Naturwissenschaftlichen Verein“

■ Zu seinem 125. Jubiläum wagte der Bremer Verein einen Festvortrag, der sich mit der eigenen Rassen-Ideologie von 1931-45 befaßte

Professor Hubert Walter wirkte angespannt, emotional beteiligt und zugleich wie einer, der es sich nicht leichtmacht, sich aber auf keinen Fall von seinem Vorhaben abbringen lassen will: Weil der ehrwürdige Bremer 'Naturwissenschaftliche Verein‘ seinen 125. Geburtstag feiert, gibt es verschiedene Festvorträge. Und zwischen eine Ausstellung zum Jubiläum und den „Brombeeren in der Bremer Umgebung“ hatte Walter, Anthropologe an der Bremer Universität, seinen Vortrag angekündigt: „Anthropologische und nationalsozialistische Rassen- ideologie, dargestellt am Beispiel der 'Rassenhygienischen Fachgesellschaft‘ 1931 - '45.“ Diese Fachgesellschaft war seit 1931 Teil des befeierten 'Naturwissenschaftlichen Vereins zu Bremen‘. „Wir wollen neben den Lichtblicken die Schattenseiten nicht verbergen“, bekannte einleitend der Vereins-Vorsitzende (und Uni-Konrektor) Hermann Cordes. Sehr viele wollten sich das brisante Thema aber lieber nicht antun: Gekommen waren rund 50 Interessierte.

Und dann legte der fast 60jährige Prof. Walter los, mit einer angenehmen Mischung aus wissenschaftlich akribischer Darstellung und persönlichem Beteiligtsein. Er hatte tief nachgegraben und alte Dokumente, Listen der gehaltenen Vereins-Vorträge, Lebensläufe von Nazi-Referenten, wissenschaftliche Arbeiten zum Thema zusammengetragen. Seine Ergebnisse: Schon 1931 hatte sich die 'Rassehygienische Fachgesellschaft‘ im traditionellen 'Naturwissenschaftlichen Verein zu Bremen‘ etabliert. Rassehygiene, das bedeutete Eheverbote und Sterilisation von „erblich Minderwertigen“, Ausmerze und Mord, gezielte und deutschgründliche Programme zu Erbgut-Verbesserung. Anthropologen und Humangenetiker der 30er Jahre, so Walter, begrüßten und befürworteten solches ausdrücklich - auch innerhalb der Rassenhygienischen Vereinigung, auch im Naturwissenschaftlichen Verein. Es galt, diese „Inhalte und Ziele nicht nur in Bremen bekannt zu machen, sondern für sie zu wer

ben“. Dazu gehörten in Bremen schon 1933 die Vortragsreihe „Von der Verhütung unwerten Lebens“ mit rassistischen Themen wie „Unwertes Leben“ oder „Die Verhütung unwerten Lebens und die Rechtsordnung“. Rund 500 Bremerinnen und Bremer, eine „eugenische Gemeinde“, versammelten sich Abend für Abend zu diesen Vorträgen. Walter: „Auch in Bremen (waren) die unter Androhung und Anwendung von Gewalt durchgeführten Sterilisierungen von Anfang an Teil der rassistischen Politik und Vernichtungsstrategie der Nationalsozialisten, die den bedingungslosen Kampf gegen 'Erbkranke‘, 'Asoziale‘ und 'nutzlose Esser‘ zu einem ihrer Hauptziele erklärt hatten. Nicht zuletzt hat auch die Rassenhygienische Gesellschaft des Naturwissenschaftlichen Vereins in Bremen eine solch zutiefst inhumane Politik befürwortet und propagiert.“

In Bremen „hielt alles Vorträge, was damals Rang und Namen hatte“, so Walter, auch der berüchtigte Dr. Dr. Ritter. Maß

geblich durch dessen sippenmäßige und anthropologische Erfassung („Arbeiten zur Asozialenforschung und Bastardbiologie (Zigeuner, Juden)“) wurden mehr als 270.000 Menschen in KZ eingeliefert und ermordet.

Treibende Kraft der feinen Gesellschaft war Dr. Hans Duncker, der noch 1951 vom Naturwissenschaftlichen Verein zum Ehrenmitglied ernannt wurde. Er hielt rassehygienische Vorträge in Bremen und organisierte Abende für SS -Referenten. Nach '45 baute der Ornithologe und pen

sionierte Studienrat dann die vogelkundliche Abteilung im Übersee-Museum auf. Walter: „Es ist nicht bekannt, daß Duncker sich mit seinen rassehygienischen Aktivitäten auseinandergesetzt hat.“

Innerhalb der bremischen Ärzteschaft, in den Gerichten und auch im Schulwesen sah es nicht besser aus. Walter fordert die „Auseinandersetzung mit der Vereinsgeschichte ohne Scheuklappen“ und „offensive Bekämpfung jeder Form von Rassismus und Eugenik“.

Eine kontroverse Diskussion

kam im Anschluß nicht auf. Aber viele zusätzliche Vorschläge aus dem Publikum: Wie kann eine öffentliche Debatte um das heutige Humangenetische Institut geführt werden? Wie steht es mit dem Bremer Übersee-Museum? Was ist heute noch an Ausstellungsstücken aus der Zeit der Rassenpropaganda vorhanden? (Walter: „barbarische Gipsmasken, 'Neger‘ und Inder in abstoßender Aufmachung“). Susanne Paa

Der detaillierte Vortrag von Prof. Walter wird vom Naturwissenschaftlichen Verein veröffentlicht.