piwik no script img

Räumung des Tacheles in BerlinLeises Ende einer Ära

Am Dienstagmorgen war es soweit: Das Berliner Kunsthaus Tacheles wurde unter friedlichem Protest geräumt. Wie es dort weitergeht, ist unklar.

Spielt zum letzten Tanz: Saxophonist vor dem Tacheles. Bild: dapd

BERLIN taz | Von Rauchschwaden umgeben schreiten zwei Männer vor dem Tacheles auf und ab. Ihre schwarzen Stoffumhänge werden von Kabeln, Seilen und einem alten Maßband zusammengehalten. Rhythmisch stoßen sie immer wieder die alten Gartenfackeln auf den Boden, aus denen der theatralische Qualm aufsteigt. Ihr skurriler Trauerzug wird von den Klängen eines alten Saxophons begleitet, auf dem ein junger Mann mit dunkler Sonnenbrille den Blues spielt.

Den größeren Auftritt haben aber wenig später der Gerichtsvollzieher und die Anwälte von Hausverwalter und Künstlern. Um fünf nach acht steigen sie auf den Stufen vor dem Eingang über ausgebreitete Unterschriftenlisten hinweg und verschwinden im Inneren des Gebäudes.

Kurz darauf verlässt eine kleine Gruppe von Künstlern friedlich das Haus. Die Menschenkette der etwa fünfzig Unterstützern auf dem Gehweg löst sich langsam auf, während drinnen die ersten Räume versiegelt werden.

Mit der Übergabe des Hausschlüssels an den Gerichtsvollzieher durch Martin Reiter, den Vorsitzenden des insolventen Tacheles-Vereins, ging am Dienstagmorgen vergleichsweise leise eine Ära zu Ende. In der Kaufhausruine an der Oranienburger Straße war in den Neunziger Jahren ein selbstverwaltetes Kunsthaus entstanden.

Nachdem der Investor, der Haus und Gelände 1998 gekauft hatte, in Zahlungsschwierigkeiten geraten war, stand das Gebäude seit 2007 unter Zwangsverwaltung durch die HSH Nordbank. Ein Teil der Nutzer verließ seitdem gegen Abfindung das Haus, die verbleibende Gruppe wollte sich gegen die Räumung zuletzt nicht mehr zur Wehr setzen. Viele haben bereits neue Ateliers gefunden.

Lediglich für einzelne Künstler, deren Nutzungsverträge mit dem Tacheles-Verein durch die Räumungsklage nicht berührt werden, könnte es noch eine Weile am alten Ort weitergehen. Für sie muss der Zugang zum Gebäude möglich sein, bis die Verträge auslaufen.

Doch auch das dürfte nichts mehr daran ändern, dass das Tacheles in seiner bisherigen Form seit Dienstagmorgen Geschichte ist. Im Bebauungsplan ist zwar eine kulturelle Teilnutzung des Gebäudes festgeschrieben, wie die aber in Zukunft aussehen soll, ist unklar.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

11 Kommentare

 / 
  • E
    Emma

    Mein Lieblingsort Berlins wird wurde zerstörrt.Man betrat das Wunderschöne Bebäude und fühlte sich frei.

    Schade.

  • M
    moopenheimer

    Und nun? Bleiben die Touris hier endlich auch fern. Waren ja auch babylonische Zustände, so ohne eine geordnete Führung. Hoffentlich kommt da jetzt Ordnung hin. Ich erwarte einen H&M, bubble tea-Läden und mindestens einen Starbucks und einen McDonald's.

     

    Und vielleicht ginge ja noch ein Stundenhotel wegen der Umgebung.

  • T
    totak

    Die Erstbesetzer, mehrheitlich Studierende de ADK, wurden bereits nach 6 Monaten aus dem Tacheles gedrängt. Als Ossis hatten sie auch wahrlich größere Probleme in dieser Zeit, als sich mit unverschämten und aroganten Wessis rumzuschlagen. Das Tacheles geriet schnell in die Hände von smarten Geldmachern,. Spätestens Mitte 1991 war das Projekt tot und niemand hat es hernach geschafft wieder was Sinnvolles dort auf die Beine zu stellen. 80 Leute gaben dem Tacheles heute ihr Geleit, das sagt schon alles um die kümmerliche Reichweite dieses Ortes. Es gibt keinen Grund, Krokodilstränen zu vergießen, Schuld am Niedergang sind Gier, Ignoranz und Abwesenheit von Solidarität.

  • K
    Kafka

    RIP Tacheles. Nach Dir der Kommerz und die Langeweile.

     

    Nicht nur Deine Partys werden aber unvergessen bleiben.

  • BM
    Beton muß her

    Abreissen und Bäume pflanzen, damit man endlich wieder in Ruhe pissen kann.

  • PB
    Paul Berlin

    Zitat Martin Reiter ( etwa 2005): " Wenn es das Tacheles nicht mehr geben wird, werde ich immer noch Vorsitzender des Tacheles e.V. sein. "

    herzlichen Glückwunsch Herr Reiter: beides geschafft.

  • L
    leser

    Klar wird es wieder Berlin-Luxus.

    Aber ich bin froh das es weg ist.Über die Drogendealer der vergangenen Jahre wurde ja nie berichtet,Glasscherben,besoffene etc.Was da eigentlich in den letzten Jahren da noch was mit Kunst zu tuen hatte,entschloss sich mir.

    Als Ur-Einwohner bin ich froh.

  • S
    Stratege

    Es gab über 22 Jahre Zeit, eine vernünftige Organisation zu gründen, vielleicht sogar eine Stiftung.

    Stattdessen haben sich kleinkarierte individuelle Streite als Dauerkultur etabliert und eine spannende Idee an ein Ende gebracht.

     

    Künstler, Kneipiers und alle anderen Verursacher und Beteiligten haben der Kunst keinen guten Dienst erwiesen.

     

    Sie sollte alle in Sack und Asche gehen und Buße tun!

  • P
    Peter

    Und wieder siegt die kapitalistische Verwertungslogik über die Freiheit. Ein schwarzer Tag für Berlin.

  • T
    Tierfreundin

    Schade um diesen wunderbaren Freiraum für die Kunst. In der Oranienburger Str. habe ich ab sofort nichts mehr verloren.

  • A
    aurorua

    Klar sind auf jeden Fall Luxusmodernisierungen und Horrormieten!