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RadsportQuietschgesund am Ende

Kommentar von Sebastian Moll

Bloß weil die Tour de France zutiefst moralisch verrottet ist, wird sie nicht durch einen Feuersturm von der Erde gefegt werden. Es kommt auf die Sponsoren an.

Ob Gerolsteiner, Telekom oder Red Bull: Auf die Sponsoren kommt es an. Bild: dpa

H ans-Michael Holczer ist eigentlich ein Mann, der klar sieht. Aber wenn man den Chef der Berufsradsportgruppe Gerolsteiner fragt, wo seine Branche steht und wo es mit ihr hingeht, weiß er keine Antwort. "Ich bin im Augenblick ehrlich gesagt orientierungslos", sagt er mit hochgezogenen Schultern. "Es kann alles passieren."

Eines weiß Holczer allerdings, nämlich dass die Todesanzeigen für die Tour, die in der vergangenen Woche von den Titelseiten verschiedener französischer Zeitungen prangten, voreilig waren. Der Popularität der Tour hätten die Fälle Rasmussen, Winokurow und Sinkewitz nur begrenzt geschadet. Und solange in Frankreich Millionen die Straßen säumen, lassen sich auch die Sponsoren nur bedingt vom Doping abschrecken. "Unsere Partner lassen uns nicht fallen", bekräftigte auch Tour-Chef Christian Prudhomme.

Weil Fans und Sponsoren das Dopingthema weit weniger dramatisch bewerten als die Medien, ist die Tour vorerst noch wirtschaftlich quietschgesund. Die Auswirkungen der Dopingskandale werden eher schleichend als katastrophal sein. So richtig werden sie wohl erst spürbar, wenn bestehende Verträge nach und nach neu verhandelt werden. Dann wird sich zeigen, inwiefern die Interessenten das Doping als Grund für eine Preisminderung ins Feld führen können. Aus sportlicher Sicht birgt diese Situation sowohl Chancen als auch Risiken. Das negative Szenario für den Radsport wäre das Modell Astana: Dubiose Investoren kaufen dopingbelastete Restbestände auf, um ihre persönliche Eitelkeit zu befriedigen. Um den Sport und dessen Zukunft scheren sie sich wenig. Sollte sich dieses Modell durchsetzen, würde der Radsport wohl endgültig ins Halbseidene abgleiten. Es kursieren bereits sogar Gerüchte, dass solche Financiers ein Auge nicht nur auf einzelne Teams, sondern auf den Radsport als Ganzes geworfen haben. Hans-Michael Holczer schätzt den Wert des gesamten Sports auf derzeit 350 Millionen Euro jährlich, Tendenz fallend. Das ist ein Betrag, den ein einzelner Großinvestor oder eine Investorengruppe durchaus stemmen könnten. Auch einem holländischen Investmentfonds wird nachgesagt, den gesamten Sport kaufen zu wollen. Hinter dem Fonds steckt der Vizepräsident des Radsportverbandes UCI, Hein Verbruggen, der als der starke Mann im Verband gilt. Wegen dessen privater Investmentinteressen mutmaßt Prudhomme auch, dass Verbruggen gezielt die Dopingfälle Sinkewitz und Rasmussen mitten in die Tour hat platzen lassen. Die Skandale sollten den Preis des gesamten Radsports inklusive der attraktiven Tour drücken.

Prudhomme hat indes seine eigenen Pläne. Er will nicht nur die Unabhängigkeit der Tour erhalten; er will mit den anderen Profiradrennen, die zur Tour-Gruppe gehören, eine von der UCI-Pro-Tour autonome Rennserie etablieren. Kern der Liga wären die französischen und deutschen Mannschaften, die während dieser Tour eine Vereinigung für einen sauberen Radsport gegründet haben. Mit ihnen und mit jedem, der sich ihnen anschließen möchte, kündigte Prudhomme an, werde es einen Gipfel im Oktober geben, bei dem über ein "neues System" nachgedacht wird. Durch ihre offensive Antidopingpolitik wäre diese Serie dauerhaft glaubhaft für Sponsoren und könnte zudem die Reputation des Radsports ausbessern.

Mit ähnlichen Gedanken wie Prudhomme spielen Hans-Michael Holczer, T-Mobiles Bob Stapleton sowie andere, unkonventionell denkende Geister im Profiradsport: eine unabhängige, rein kommerzielle Rennserie zu starten, die von den progressiven Kräften im Radsport modern geführt und vermarktet wird. Vorbild wären straff gemanagte Profisportunternehmen wie etwa die Formel 1 oder die US-Footballliga NFL. Ein seriös geführter, durchkommerzialisierter Sport mit einem eindeutigen Bekenntnis gegen Doping auf der einen Seite, ein Verramschen und Abgleiten des Sports auf der anderen - das sind derzeit die beiden Richtungen, in die es mit dem Radsport gehen könnte.

Bis erkennbar wird, in welche, werden allerdings sicher noch Monate, wenn nicht Jahre vergehen. Möglicherweise wird der Sport sich auch spalten und sich in beide Richtungen entwickeln. Es wird spannend sein, diesen Prozess zu beobachten. Denn so, wie der Radsport die schlimmsten Probleme des modernen Hochleistungssports verkörpert, könnte er auch aufzeigen, wie die Zukunft des Profi- und Showsports als Ganzes aussehen könnte. Eines wird der Radsport allerdings ganz sicher nicht - weil er zutiefst moralisch verrottet ist durch einen apokalyptischen Feuersturm von der Erde gefegt werden.

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