RWE plant Reaktor in Erdbebengebiet: Angst vor neuem Tschernobyl
Im erdbebengefährdeten Nordbulgarien will RWE ein neues Atomkraftwerk bauen. Umweltschützer machen vor der entscheidenden Sitzung Druck auf städtische Aktionäre.
Mahnwachen vor den Rathäusern von Dortmund, Essen und Mülheim, zehntausende Protestpostkarten: Umweltschützer, Hilfsorganisationen und Grüne machen Druck gegen den vom Energieriesen RWE geplanten Bau des Atomkraftwerks Belene im Norden Bulgariens. Das Ziel: Die OberbürgermeisterInnen sollen im RWE-Aufsichtsrat klar Stellung gegen den Neubau des Atomkraftwerks beziehen.
RWE-Chef Jürgen Großmann hat für Sonntag eine Sondersitzung des Kontrollgremiums durchgesetzt. Der Vorstandsvorsitzende fürchtet wachsenden Widerstand seines Aufsichtsrats gegen das Belene-Projekt: Das Atomkraftwerk soll im erdbebengefährdeten Nordbulgarien entstehen. Bereits 1977 starben in der Region 120 Menschen bei einem Erdbeben, Häuser stürzten ein. Trotzdem begann die kommunistische Regierung des ehemaligen Ostblock-Staats 1985 mit dem Bau von zwei Reaktorblöcken - dabei hatten selbst sowjetische Wissenschaftler 1983 gewarnt, ein AKW sei in der Erdbebenregion nicht zu verantworten. Erst 1992 wurden die Arbeiten gestoppt, die zu 40 Prozent fertig gestellten Meiler fielen in einen Dornröschenschlaf. 2003 beschloss die bulgarische Regierung, die Reaktoren fertigzustellen. Im Gegenzug wurden vier als besonders unsicher geltende Reaktoren alter sowjetischer Bauart des Atomkraftwerks Kosloduj stillgelegt.
In vielen Städten und Gemeinden, die zusammen noch immer 26 Prozent an RWE als ehemalige Essener und Dortmunder Stadtwerke halten, wächst jetzt die Unsicherheit. Besonders sozialdemokratische Stadtoberhäupter wie die Mülheimerin Dagmar Mühlenfeld oder der Dortmunder Gerhard Langemeyer fürchten Anti-Atom-Proteste mitten im Kommunalwahlkampf 2008. Schließlich ist das AKW auch in Bulgarien mehr als umstritten: "Wir möchten nicht jeden Tag mit der Angst leben, dass sich ein zweites Tschernobyl bei uns ereignet", schreiben über 100 südrumänische Gemeinderäte aus dem Grenzgebiet in einem Protestbrief. Auch der ehemalige Leiter der bulgarischen Atomaufsicht, Georgiu Kastchiew, hält "Belene für ein nicht tolerierbares Sicherheits- und Umweltrisiko".
RWE aber will Belene unbedingt bauen. Das Erdbebenrisiko sei beherrschbar, glauben die Essener: "Sicherheit hat bei RWE oberste Priorität. Dies gilt auch für internationale Projekte - ohne Abstriche", versichert ein RWE-Sprecher.
"Bulgarien braucht diese unsicheren Meiler nicht", sagt Heffa Schücking von Urgewald. "Ein Großteil der Stromproduktion ist für den Export bestimmt." Reiner Priggen, energiepolitischer Sprecher der Grünen im Düsseldorfer Landtag, nannte das "klaren Energiekolonialismus".
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen