RWE-Lehrlinge demonstrieren: Atomkraft? Ja Bitte!
Im hessischen Biblis marschieren rund 1.300 Lehrlinge für den Erhalt der deutschen Atomkraftwerke. Am Rande des Zuges fliegen Äpfel auf Gegendemonstranten.
Dörflich gemütlich ist es unter den vier Kühltürmen des Atomkraftwerkes Biblis, Block A und B, in Südhessen. Die grauweiße Katze Minka fängt die Mäuse und hat ein eigenes Häuschen mit Lampenlicht. Am Freitagmorgen füllt sich der Parkplatz Schlag auf Schlag mit Reisebussen aus Nord und Süd, Heidelberg, Essen, Gundremmingen, Osnabrück und entlädt die Azubis der Energiekonzerne RWE, Eon und Vattenfall. Wer das weiße T-Shirt mit dem blauen Erdball, den zwei Kühltürmen und dem Spruch "KERNIG in die Zukunft" noch nicht hat, bekommt es zusammen mit dem Lunchpaket im Stoffbeutel.
Die Sonne strahlt, RWE-Vorstand Gerd Jäger strahlt auch. Er dankt den nach Polizeiangaben 1.200 bis 1.400 Teilnehmern der Pro-Atom-Demonstration. "Dass es so etwas noch gibt!" Junge Leute nämlich, meint der oberste Chef, die ausnahmsweise einmal "für etwas" sind. Immer nur dagegen zu sein, das sei, tadelt er, typisch deutsch: "Und damit kriegt man ja nichts gebacken!"
Der Vorsitzende der RWE-Jugendvertretung, Daniel Ullrich, verwahrt sich energisch gegen den Vorwurf, dass die Geschäftsführung ihre Lehrlinge funktionalisiert und zur Demo beordert habe. Alle seien freiwillig gekommen. Es sei weltfremd, anzunehmen, dass "heutzutage irgendwer gegen seinen Willen auf eine Demonstration geschickt werden kann".
Über 3.000 Lehrstellen, 50 Ausbildungsberufe von der Kauffrau, dem Elektroniker bis zum Förster für die Renaturierung, eine Übernahmequote von rund 30 Prozent - darauf ist er stolz. Die Botschaft der Jugendvertretung hört sich diplomatisch an: "Wir brauchen regenerative Energien, Wind, Sonne, Wasser." Aber auch Braun-, Steinkohle, Kernkraft, eben ein Energiemix, sei angesagt.
Demoteilnehmer Joschi - er mag nur so genannt werden - kommt "aus dem Osten". Geheuer ist ihm die Atomenergie nicht. Er kennt die Familienerzählungen über "die verschwiegenen Gefahren der Wismut". Lieber würde er bei der Anti-Atom-Demo am Samstag in Berlin mitmarschieren, aber: "Was hätte ich denn machen sollen?" Lehrstelle sei eben Lehrstelle, und die sei "immer noch besser als die Bundeswehr".
Gegen elf Uhr setzt sich der Zug die vier Kilometer zur Kirche in der Ortsmitte von Biblis in Bewegung. Die Musik liefert die Werksfeuerwehr der RWE zum Mitsingen: "Wir feiern die ganze Nacht!" Das Fotomotiv des Tages ist aber den Grünen zu verdanken. Ihre am Straßenrand aufgehängten Anti-Atom-Plakate mit Totenschädelmeiler konterkarieren die Transparente der Azubis: "Irrsinn Atomausstieg", "Kernlos ist hirnlos". Als die Demo an einer Gruppe grüner Gegendemonstranten vorbeikommt, fliegen ein paar Äpfel auf die Atomkraftgegner.
Die Bürger aus Biblis halten sich zurück. "Ich bin nicht dafür und nicht dagegen", fasst eine Anwohnerin zusammen. Aber erstens müsse der Strom irgendwoher kommen, zweitens brauche keiner Demos, weder solche noch solche. Und drittens werde die Schließung des Atomkraftwerkes wohl leere Stadtkassen bedeuten: "Wenn die dichtmachen, dann geht die Stadt in den Winterschlaf."
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