RÜTTGERS’ SYMBOLPOLITIK ZIELT AUF DIE SCHWÄCHE DER SPD : Herrisch für Hartz
Jürgen Rüttgers hat mit einer eher kleinen Idee beachtliche Reaktionen ausgelöst. Der CDU-Mann will, dass Arbeitslose, die lange Jobs hatten, länger Arbeitslosengeld beziehen – zu Lasten der Jüngeren. Müntefering hat die SPD herrisch auf ein Nein festgelegt. Die SPD-Spitze fürchtet nicht grundlos, dass sogar dieser zarte Windstoß das wankende Gesamtkunstwerk Hartz-Reformen zum Einsturz bringen könnte. In der Union herrscht munteres Durcheinander. Manche halluzinieren von einem Linksruck der Union – die, auf die es ankommt, versichern, dass Rot-Schwarz Rüttgers nie folgen wird, während Angela Merkel weise schweigt.
Rein sachlich betrachtet, ist das viel Aufregung um wenig. Es würde rund eine Milliarde Euro Mehrkosten entstehen – also ein Dreißigstel der erwarteten Steuermehreinnahmen für 2006 oder ein Zehntel des diesjährigen Überschusses der Bundesagentur für Arbeit. Aber mehr Geld für Arbeitslose will Rüttgers gar nicht, sondern nur mehr für solche, die lange gearbeitet haben. Wir haben es mit einem halbherzigen Vorstoß zu tun, bei dem nur eins sicher ist: politisch wird er keinesfalls umgesetzt. Rüttgers’ Inszenierung ist somit ein Paradebeispiel für symbolische Politik – praktisch garantiert folgenlos und trotzdem wirksam.
Effektiv ist der Vorstoß, weil er der CDU ziemlich billig ein soziales Image beschert und die SPD an ihrem wunden Punkt trifft. Rüttgers’ Modell setzt genau da an, wo die SPD seit Schröders Agenda 2010 ratlos ist – bei der Angst der Mittelschichten, schon morgen unversehens zum Heer der Hartz-IV-Empfänger zu gehören.
Rüttgers’ Vorstoß ist wenig plausibel. Doch er wirkt, weil die soziale Flanke der SPD offen ist. Die Unternehmensteuerreform, die SPD-Minister Peer Steinbrück wütend verteidigt, wird dem Kapital mindestens fünf Milliarden Euro Steuerersparnis pro Jahr bringen, während die SPD-Klientel durch Mehrwertsteuererhöhung und andere Reformen belastet wird. Den Mindestlohn, mit dem die SPD ihr ausgebleichtes Image als soziale Partei aufhellen wollte, hat Kanzlerin Merkel vor ein paar Tagen beerdigt. Rüttgers’ Rhetorik von links plus Merkels Machtwort zum Mindestlohn – es wird ungemütlich für die SPD. STEFAN REINECKE