RTL2-Hatz "Tatort Internet": Die Folgen einer Jagd
Nach der RTL2-Sendung "Tatort Internet" ist nun ein mutmaßlicher Pädophiler vermisst. Die Medienaufsicht prüft, ob das Format Vorschriften zu Persönlichkeitsrechten verletzt.
Hat der 61-jährige Vermisste aus Würzburg Selbstmord begangen? Der Leiter eines dortigen Kinderdorfes ist seit vergangenem Donnerstag vermisst, nachdem sein Arbeitgeber Caritas ihm wegen des Vorwurfs der Pädophilie gekündigt hatte. Der Mann hatte sich in der Sendung "Tatort Internet - Schützt endlich unsere Kinder" auf RTL2 im Chat mit einem angeblich 13-jährigen Mädchen zum Sex verabredet. Noch während der Sendung enttarnten Zuschauer seine Identität im Internet.
"Es ist alles möglich", sagt die Sprecherin der Würzburger Polizei, Kathrin Reinhardt, zu dem Fall. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass dem Mann etwas zugestoßen sei. Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft Würzburg gegen ihn - wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs.
Damit ist bereits die zweite Identität eines mutmaßlichen Kinderschänders aus "Tatort Internet" von Zuschauern aufgedeckt worden. Inzwischen prüft die Medienaufsicht, ob das Format medienrechtliche Vorschriften zu Persönlichkeitsrechten verletzt. "Wir haben alle Maßnahmen unternommen, die gezeigten Täter in Wort und Bild unkenntlich zu machen, Klarnamen werden nicht genannt", sagt dazu eine Sprecherin von RTL2.
"Tatort Internet", deren erste Folge Stephanie zu Guttenberg moderierte, stelle Menschen an den Pranger und diene nicht der Aufklärung, war in der vergangenen Woche vielfach in den Medien zu lesen. Vorbild für die Sendung ist das US-Format "To Catch a Predator", wegen der ein dort gezeigter mutmaßlicher Pädophiler Selbstmord beging.
Der Vorsitzende des Diözesencaritasverbandes, Clemens Bieber, forderte die Absetzung von "Tatort Internet". RTL2 habe bereits seit fünf Monaten von dem Verdacht der Pädophilie bei ihrem Angestellten in Würzburg gewusst, dies jedoch nicht mitgeteilt. Bieber bezweifelte, dass das Format Kinder schützen könne.
RTL2 will ab jetzt Arbeitgeber informieren, "bei denen vermeintliche Täter mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben". Auch sollen vor Ausstrahlung Sendekopien an die betreffenden Strafverfolgungsbehörden weitergegeben werden.
Lob erhielt das Format vom Chef des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, Klaus Jansen, in einem Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung. Er finde es "ohne Abstriche gut", dass sich RTL2 gemeinsam mit Stephanie zu Guttenberg des Themas Kinderpornografie annehme.
Das sieht Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger anders. Sie mahnte am Dienstag: "Es besteht die Gefahr, dass Unschuldige angeprangert werden und der Rechtsstaat in eine Schieflage gerät."
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