ROTLICHT AM HACKESCHEN : Hallo, Süßer
Es ist eine laue Nacht am Hackeschen Markt und eine friedliche Heimfahrt. So friedlich, dass ich sogar an einer roten Ampel halte, obwohl ich das meines Wissens nach gar nicht muss, denn ich bin mit dem Fahrrad unterwegs.
Eine Gewerbetreibende kommt vom Bürgersteig auf mich zu. „Hallo, Süßer“, spricht sie mich an, und vor lauter Friedlichkeit lasse ich ihr die grausame Ironie gern durchgehen. Ob ich noch Lust hätte mitzukommen, möchte sie wissen.
Sie drückt ihren in dünnes Weiß gekleideten Bauch gegen meine Hand, die auf dem Lenker liegt. So kann ich nicht fahren, aber es ist ja auch rot. „Nein, danke“, lehne ich ab, „ich bin nur auf dem Heimweg.“ – „Da kannst du doch noch einen kleinen Abstecher machen“, lockt sie. Ob die Doppeldeutigkeit beabsichtigt ist?
„Ich habe kein Geld“, chargiere ich Bedauern, „Radfahrer haben kein Geld.“ Ein einfaches „Danke, ich will nicht“ fällt mir nicht ein. „Du hast kein Auto“, gibt sie der Konversation eine leicht dadaistische Richtung, „du armer Radfahrer – aber da drüben ist eine Bank.“ Sie deutet auf ein leuchtendes Pleiteinstitut. Dabei kribbelt sie mir mit den Fingerspitzen den bloßen Arm entlang. Schlecht ist anders.
Sie zieht neckisch ihr Profiding durch, und ich lasse es mir mit blödem Kopf gefallen, so lau ist die Nacht. Komisch, wie weitgehend sexuelle Belästigung dem anderen Geschlecht zu gehören scheint, und wenn davon doch mal etwas in meine Welt schwappte, hatte das entweder mit Hierarchiemissbrauch zu tun oder mit Männern. Ebenfalls komisch, wie lang die Ampel hier Rot zeigt.
„Radfahrer haben auch kein Geld auf der Bank“, erkläre ich ihr. Sie zieht sich zurück. Eine Strippe ihres Handtäschchens verheddert sich in meiner Handbremse. Es wird grün, ich muss sie und mich befreien.
„Siehst du“, sagt sie, „ein Zeichen.“ ULI HANNEMANN