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Archiv-Artikel

ROBIN ALEXANDER aus Südafrika über WHITE Der fröhliche Marxist vom Finanzblatt

Bongani, Wirtschaftsjournalist aus Südafrika, hat zwei Monate Berlin kennen gelernt – und Depressionen

Austauschschüler (5 und Schluss): Unser Kolumnist hat für zwei Monate als Reporter gearbeitet bei The Star – in Johannesburg, Südafrika. Jetzt ist er wieder zurück. Au Backe.

Zwei Monate Sonne. Zwei Monate nicht im Büro. Zwei Monate neue Menschen. Zwei Monate schöne Geschichten schreiben. Zwei Monate Südafrika. Schön. Das Leben lehrt: Wenn etwas so schön ist, muss irgendwer dafür bezahlen. Beim Abschlusstreffen mit den südafrikanischen Kollegen stellt sich heraus: Es hat schon jemand bezahlt. Er heißt Bongani (jedenfalls in dieser Kolumne). Bongani war auch zwei Monate nicht im Büro. Hat auch zwei Monate neue Menschen getroffen. Durfte auch schöne Geschichten schreiben. Bongani war auch Austauschjournalist, nicht bei meiner Zeitung, aber in meiner Stadt, in Berlin.

– „Ich habe mich wirklich sehr auf zu Hause gefreut.“ Zu mehr Höflichkeit kann er sich nicht durchringen, wenn man ihn fragt, wie es ihm gefallen habe.

Dabei hatte sein Aufenthalt so gut angefangen! An seinem ersten Tag macht er wie jeder ordentliche Neuankömmling eine Fremdenführung durch den Reichstag und – weil der Fremdenführer mitbekommt, dass Bongani just an diesem Geburtstag feiert, darf er sich im SPD-Fraktionssaal auf den Platz des Bundeskanzlers setzen.

– „Jetzt sag was, eine Rede, los!“, rufen seine Mitfremden in Englisch, Deutsch, Japanisch und Finnisch fröhlich. Und Bongani lächelt nur kurz verlegen. Dann haut er mit der Faust fest auf den Tisch und ruft mit einem so feisten Grinsen, wie es sich sonst nur der echte Kanzler traut:

– „Seit gegrüßt, Genossen, ich bin hier der Boss, ha, ha, ha.“

Die Inhalte der Kanzlerschaft von Gerhard Schröder in einem Satz zusammengefasst. Nicht schlecht für einen Mann vom anderen Ende der Welt, der gerade erst in Berlin angekommen ist.

Bei so viel politischer Intuition ist es ein Jammer, dass Bongani in einer Wirtschaftszeitung untergebracht ist. Trotz mangelnder Deutschkenntnisse bekommt er rasch mit: Es wird knallhart aus der Perspektive der Wirtschaft geschrieben. Mehr noch: Selbst in Privatgesprächen schimpfen die Redakteure über Kündigungsschutz, Gewerkschaftsmacht und angeblich chronisch faule Kellnerinnen.

Bongani hingegen schickt Fotos nach Hause, auf denen er Marx- und Engels-Denkmälern auf die Schultern klopft. Bei der 500.000-Leute-Demo gegen Sozialabbau läuft er mit einem Ghanaer mit. Der Transparent-Spruch „Black against Red-Green“ fällt ihnen leider erst während der Veranstaltung ein. Bonganis Söhne heißen Camillo und Amilcar, nach einem kubanischen Revolutionär und einem marxistischen Theoretiker aus Guinea-Bissau. In seinen E-Mails schreibt er statt „Mit freundlichen Grüßen“ schon mal „long live the revolution“. Das kann man sich bei unseren Kollegen vom Handelsblatt, von der Wirtschaftswoche oder von der Financial Times ja eher schwer vorstellen.

– „Vielleicht warst du bei einer Wirtschaftszeitung als fröhlicher Marxist auch falsch aufgehoben?“, gebe ich zu bedenken.

– „Wieso?“, fragt er zurück. Ist Analphabetismus ein Einstellungsgrund für Lehrer? Gelten kriminelle Polizisten als qualifiziert? Muss ein Arzt krank sein, um heilen zu können?“

So gesehen hat er Recht. Es gibt ja auch GesundheitsredakteurInnen, die rauchen. Mindestens zwei Rentenfachleute in meinem Bekanntenkreis sind krass unterversichert. Und der dickste Kollege macht bei uns die Sportseite.

Tatsächlich macht Bongani in Kapstadt Unternehmensberichterstattung. Vielleicht wechselt er später sogar in die Wirtschaft, wie viele seiner Kollegen dort. In Südafrika, sagt er, finden nicht einmal alle Kapitalisten den Kapitalismus gut. Aber Berlin ist doch mehr als Arbeit! „Ach, ich war noch nie in meinem Leben so schwermütig“, stöhnt er. Der Himmel über Berlin ist grau! Zum ersten Mal im Leben war er ein bisschen depressiv.

– „Wie kommt ihr Deutschen bloß damit klar?“, fragt er.

– „Wir haben uns daran gewöhnt. Einige an das Wetter. Einige an die Depression.“

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