RINDERKRANKHEIT: Ansteckung im Stall
Über die Gefahr des chronischen Botulismus für den Menschen ist bislang wenig bekannt - der Fall der Brüder Strohsahl aber zeigt, dass die Sorge der Landwirte um die eigene Gesundheit berechtigt ist.
HAMBURG taz | Die Brüder Heiko und Heinrich Strohsahl aus dem Kreis Steinburg in Schleswig-Holstein haben harte Zeiten hinter sich. Die beiden Landwirte mussten vor zwei Jahren nicht nur mit ansehen, wie ihre Milchkühe qualvoll an der umstrittenen Krankheit chronischer Botulismus verendeten, auch ihre eigene Gesundheit verschlechterte sich dramatisch. Insbesondere der 31-jährige Heinrich wurde von Tag zu Tag schwächer, litt an Muskelabbau, Magenschmerzen, Gewichtsverlust und Lichtempfindlichkeit.
Nach seiner stationären Aufnahme und diversen Untersuchungen war die Diagnose des Arztes Dirk Dressler von der Medizinischen Hochschule Hannover eindeutig: "Heinrich Strohsahl ist der erste Patient in Deutschland mit einer generalisierten, chronischen Botulinum-Intoxikation." Auch ein Gutachten des Zentrums für Infektionsmedizin der Universität Leipzig bestätigte die Erkrankung der Brüder an chronischem Botulismus. Wie genau sie das Toxin aufgenommen haben, ist noch nicht erforscht. Das Gutachten besagt lediglich, dass eine Zoonose, also eine Übertragung von Tier auf Mensch, stattgefunden hat.
Die Strohsahls wurden damals mit ihren Problemen alleine gelassen. "Die Behörden interessierten sich überhaupt nicht für uns. Sie wollten die Geschichte unter den Tisch kehren", sagt Heinrich Strohsahl. "Selbst die Milchkontrolleurin stellte aufgrund der Gesundheitsgefährdung ihre Besuche ein."
Neben den Strohsahls haben sich weitere Bauern mit chronischem Botulismus infiziert. Dressler berichtet von 15 Landwirten, bei denen er die Diagnose gestellt hat. "Und wir waren nur auf vier oder fünf Höfen. Kollegen vermuten, dass etwa 200 Betriebe betroffen sind."
Das Landwirtschaftsministerium sieht die Lage weniger dramatisch. "Die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen erkranken, ist gering. Unmöglich ist es nicht", sagt Pressesprecher Christian Seyfert. Er verweist lieber darauf, dass offiziell erst 61 von 8.900 Beständen betroffen und somit ein sehr geringer Teil der Rinder in Schleswig-Holstein an chronischem Botulismus erkrankt sind. Jedoch ist chronischer Botulismus beim Tier keine meldepflichtige Krankheit. Die Dunkelziffer der erkrankten Rinder und entsprechend auch die Zahl gefährdeter Menschen wird deshalb vermutlich wesentlich höher sein. Darauf angesprochen, erzählt Seyfert von "einem nicht zugelassenen Impfstoff, den die Tierärzte den erkrankten Rindern verabreichen." Da dieser einer Sondergenehmigung bedarf, habe das Ministerium einen Überblick über die Anzahl an erkrankten Tieren. "Diese ist nicht signifikant hoch".
Die Gelassenheit des Ministeriums teilen Forschungsinstituten nicht. Insbesondere der Wirkmechanismus des chronischen Botulismus bei Menschen ist umstritten. "Es könnte sein, dass der Erreger im Darmbereich siedelt und dort Toxine bildet, die dann diese chronischen Erkrankungen auslösen. Das ist im Moment jedoch völlig ungewiss. Es muss noch intensiv geforscht werden", sagt Juliane Breunig vom Bundesinstitut für Risikobewertung.
Helge Böhnel, ehemaliger Direktor des Instituts für Pflanzenbau und Tierproduktion an der Universität Göttingen, leitet ein Projekt zur Erforschung von Botulismus. Für ihn ist die Situation klarer: "Der Fall Strohsahl ist nur die Spitze des Eisbergs." Böhnel hegt "große Befürchtungen, dass die Fälle von chronischem Botulismus in Zukunft dramatisch zunehmen werden" und warnt insbesondere Menschen mit einem schwachen Immunsystem und Schwangere vor einer möglichen Infektion. Da die Chancen sich zu schützen gering sind, sollte sie sich von gefährdeten Betrieben fernhalten.
Heinrich Strohsahl leidet noch immer unter der Krankheit. Er hat Schwächeanfälle und kann seiner Arbeit auf einem anderen Hof nur unregelmäßig nachgehen. Den eigenen Betrieb mussten die Strohsahls verkaufen, da sie wegen der fehlenden Meldepflicht der Krankheit kein Recht auf eine Entschädigung hatten. Heiko, der von chronischem Botulismus nur gering beeinträchtigt ist hat nach den traumatisierenden Erfahrungen der Landwirtschaft den Rücken gekehrt und ist mittlerweile LKW-Fahrer. Heute wird auf den Flächen der Strohsahls Mais für Biogasanlagen angebaut.
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