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RESÜMEEDer große Aufklärer tritt ab

■ Kurt Waldheim übergibt heute die Amtsgeschäfte an seinen Nachfolger

Es war ein verregneter Sonntagnachmittag wie so viele im Frühjahr 1988. Wieder einmal waren ein paar hundert Unentwegte auf den Graben in die Wiener Innenstadt geströmt, wieder hatte sich ein halbes Dutzend Jugendliche daran gemacht, das schon etwas ausgeleierte Holzpferd des Wiener Bildhauers Alfred Hrdlicka zusammenzuschrauben. Und wie immer, wenn das hölzerne Ungetüm irgendwo auftauchte, signalisierte es auch dem nur mäßig interessierten Beobachter, daß es wieder einmal darum ging, über Kurt Waldheim, den Präsidenten, zu spotten.

Ein bißchen zum Ritual war der wöchentliche Aufmarsch schon verkommen, aber auch die rituelle Mahnung wider das Vergessen erfüllte ihren Zweck, zumal in Österreich, dem Land, in dem das Leugnen und die Lüge zur Staatsdoktrin geworden war. Es war also an diesem verregneten Sonntag nachmittag, da nahm erstmals einer der ungezählten Redner das Wort vom „großen Aufklärer“ Kurt Waldheim in den Mund. Und tatsächlich, die heftige, oft schmerzhafte Debatte, die der Kandidat und dann der Präsident Kurt Waldheim seinem Land aufzwang, hatte letztlich kathartische Wirkung. Vierzig Jahre nach dem Untergang von Hitlers Reich wurde erstmals die verlogene These massiv in Frage gestellt, wonach Österreich das erste Opfer der deutschen Expansion gewesen war. Die billige und auch geniale Lebenslüge, die im Staatsvertrag, den die Zweite Republik mit den Alliierten schloß, letztlich zum Fundament der österreichischen Nachkriegsentwicklung erklärt wurde, konnte nicht mehr länger aufrechterhalten werden. Dies ist das große Verdienst des Kurt Waldheim. An ihm wurde — exemplarisch und deshalb vielleicht dann und wann auch ein wenig ungerecht — diese These als das entlarvt, was sie immer war.

Nun, sechs Jahre nach seiner Wahl, tritt er ab, der große Aufklärer, und er hinterläßt ein verändertes Land. Eines, in dem der Unterschied zwischen Zivilcourage und Pflichterfüllung — der Begriff, den Waldheim für seinen Dienst im Generalstab der Wehrmacht am Balkan wählte — endlich offen diskutiert wurde, in dem die künstliche Einheit von einstigen Verfolgern und Verfolgten unter dem Schirm des „ersten Opfers“, an dem aller Unbill bislang abgetropft war, zerbrach. Jetzt sind die Dinge klarer, und das ist gut so. Jetzt werden Antisemiten wieder Antisemiten genannt — wenngleich um den Preis, daß diese wieder wie Antisemiten reden; bisher haben sie vornehmlich nur als solche gedacht.

Es ist da auch angebracht, der Gerechtigkeit halber noch einmal festzustellen, was Waldheim war und was er nicht war. Er war kein Nazi, und er war kein Kriegsverbrecher, er war nicht einmal ein besonders hohes Tier im Räderwerk der Nazi-Kriegsmaschinerie. Er war eines jener kleinen Lichter, die opportunistisch funktionierten, wenn man von ihnen erwartete, daß sie funktionierten. Er ist geritten, wenn es angebracht schien, in der SA zu reiten, und er hat übersetzt, zusammengefaßt und abgezeichnet, wenn von ihm erwartet wurde, Lageberichte und Säuberungsbefehle zu übersetzen, zusammenzufassen und abzuzeichnen. Und weil er und andere so gut funktionierten, funktionierte die Wehrmacht, die Repression und die Endlösung so lange, Krieg und Elend zum Trotz. Daß er, als beinahe 70jähriger, das immer noch als „Pflichterfüllung“ ansah, wurde von seinen Kritikern im Lande selbst immer als viel übler betrachtet als das, was er als Mittzwanziger seinerzeit angerichtet hat.

Jetzt geht er, 74jährig, wohl in die Rente, und man darf annehmen, im Groll. Gerne wäre er wieder angetreten, um ein zweites Mal zum Präsidenten der Republik gewählt zu werden, doch sah er im Frühsommer des vergangenen Jahres die doppelte Sinnlosigkeit eines solchen Unterfangens ein. Sinnlos war die Hoffnung, einmal rehabilitiert und als Ehrenmann in den westlichen Hauptstädten empfangen zu werden, sinnlos wäre wohl auch die Erwartung gewesen, einmal noch eine Mehrheit der Österreicher zu gewinnen. Die, die ihn 1986 ja nicht hätten wählen müssen, gaben doch letztlich ihm die Schuld an der schmerzhaften Isolation des kleinen Landes, das immer so stolz darauf gewesen war, von den Großen dieser Welt akzeptiert, hofiert und gern besucht zu werden.

Dabei wäre er so ganz ohne Chance nicht gewesen. Er hätte vielleicht sogar zu einem Großen werden können, hätte er nur ein paar Worte über die Lüge, über Schuld, über menschliches Versagen und Zivilcourage gefunden. Doch dazu fehlte es ihm letztlich an Größe.

Am Ende, das geht aus jüngst erschienenen Interviews hervor, hat er wohl begriffen, daß vieles, was rund um seinen Wahlkampf diskutiert wurde, nur vordergründig an seiner Person festgemacht wurde. Daß zwar mit viel Faktischem und mühsamer Recherche über die Jahre des Krieges geredet wurde, in Wahrheit aber das Nachkriegs-Österreich und seine Befindlichkeit zur Debatte standen. Daß Österreich anhand seiner Person jene schmerzhafte Debatte hinter sich brachte, die in Deutschland schon in den Sechzigern geführte wurde. Er, der Jahrzehnte als Diplomat und UNO-Generalsekretär im Ausland verbracht hatte, war mit all dem wenig vertraut, sagte Waldheim jüngst in einem Interview. Deshalb, so räumte er ein, habe er wohl bisweilen auch falsch reagiert.

Als vor zwei Wochen 50.000 auf den Wiener Heldenplatz strömten, um einem „Konzert für Österreich“ beizuwohnen und Ellie Wiesel zu hören, der von jenem Balkon der Hofburg sprach, auf dem einst Adolf Hitler vor einer Million die „Heimführung“ seiner Heimat ins Reich verkündete, da war das auch ein wenig der Abschied von einer Epoche, die mit Waldheim verbunden war und die mit dem Abtritt des letzten seiner Generation aus der Politik vergeht.

Da kommt bei manchem sogar ein wenig Versöhnlichkeit auf. Leon Zelmann, der Leiter des Jewish Welcome Service in Wien, sieht „diese Epoche auch als etwas Positives. Das Land ist erstmals mit seiner Geschichte konfrontiert worden.“ Es ist auch kein Zufall, daß gerade während Waldheims Amtszeit, 43 Jahre nach der Befreiung Österreichs durch die Rote Armee, erstmals ein Staatsmann der Zweiten Republik — Kanzler Franz Vranitzky — eine offizielle Erklärung über die Verstrickungen der Österreicher in die Nazi- Verbrechen abgab.

Doch daß die „causa prima“, wie die Affäre um den Präsidenten von den Österreichern genannt wird, traumatisch fortlebt, zeigte sich erst unlängst. Als Ellie Wiesel von der Hofburg sprach, mußte Hrdlickas Roß im Stall bleiben. Die Jungkonservativen hatten ihre Teilnahme am Heldenplatz-Spektakel von der Nichtteilnahme des Holztrums abhängig gemacht.

Was bleibt? Ein normaler gewordenes Land, das mit Thomas Klestil, dem Nachfolger, wieder über einen herzeigbaren Präsidenten verfügt und auf den „jetzt alle Erwartungen projiziert werden, die Waldheim sechs Jahre lang nicht erfüllen konnte“ (ein Meinungsforscher) und der schon allein daher auf bisher unerreichte Popularitätswerte kommt (erstmals seit einer guten halben Dekade wurde der Kanzler von der Spitze der Beliebtheitsskala verdrängt). Freilich, nicht unbedingt ein besseres Land. Jörg Haider, der große Profiteur der alpenländischen Polit-Malaise, schöpft weiter aus einem Reservoir von gut 20 Prozent.

Aber das ist eine ganz andere Geschichte. Robert Misik

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