REMIGRATION: VON DEUTSCHLAND NACH PORTUGAL UND WIEDER ZURÜCK : Die Ringe sind weg, die Finger sind noch dran
VON MIGUEL SZYMANSKI
In meinen vergangenen 25 Jahren habe ich den Alltag in Deutschland verpasst. Ich habe als Journalist in Lissabon in Portugal gelebt. Auf der Iberischen Halbinsel herrschte Partystimmung. Genau deswegen war ich mit 22 Jahren aus dem für mich langweiligen Deutschland im Sud Expresso an die Westküste Europas geflüchtet. Einen Koffer in der Hand, ein Fahrrad im Gepäckwagen. Ich wollte Fiesta und zurück in den Süden. Meine Familie war nach der Nelkenrevolution – 1974 ein linksgerichteter Aufstand großer Teile der Armee in Portugal gegen die autoritäre Diktatur des sogenannten „Estado Novo“, den „neuen Staat“ –nach Deutschland gekommen.
Ab Mitte der achtziger Jahre flossen die EU-Milliarden aus Brüssel nach Spanien und Portugal, später kam der Euro und das billige Geld für alle. Es war damals eine Riesenparty, als gäbe es kein morgen: Korrupte Eliten regierten im Vollrausch, deutsche Banken finanzierten den spanischen und portugiesischen Finanzsektor.
Der warf das Geld zum Fenster heraus. Noch kurz vor dem Ausbruch der Krise bot er selbst Teenagern Immobilienkredite an: Hundertprozentige Finanzierung und 50 Jahre Laufzeit. Kompletter Wahnsinn.
Ich war Wirtschaftsjournalist und skeptisch, überhaupt einen Kredit aufzunehmen. Freunde und Kollegen schüttelten darüber nur verständnislos den Kopf.
Aber ich blieb. In den vergangenen Jahre schrieb ich Kolumnen für eine portugiesische Zeitschrift und arbeitete als Korrespondent für deutschsprachige Sender. Ich beobachtete, wie das Land langsam kollabierte. Die heiße Luft entwich aus der riesigen Immobilienblase. Banken implodierten im Zeitraffer. Nach all den Jahren bleibt in Portugal nichts weiter übrig als ein riesiger Schuldenberg, der immer größer wird.
Die Krise und das Spardiktat rissen Millionen Menschen in die Armut. In den vergangenen vier Jahren wurden „Hilfsmilliarden“ an einer verarmten Bevölkerung vorbei in kriminell agierende Banken gepumpt, weil sie „systemrelevant“ sind.
Meine Frau und ich beschlossen schließlich irgendwann, mit unseren beiden Töchtern das Land zu verlassen. Sie sollten nicht jeden Morgen auf dem Weg zum Kindergarten sehen, wie Nachbarn im Müll nach verwertbaren Lebensmitteln suchen. Sie sollten nicht erleben, wie Menschen in Schlangen vor der Kirche anstehen, um Brot und Orangen aus den Händen von alten Nonnen entgegenzunehmen.
Vor 16 Monaten bin ich also wieder ausgewandert – zurück nach Deutschland. Ich hatte zwar auch an Brasilien oder Mosambik gedacht. Aber der Wunsch nach Sicherheit, vor allem für meine Kinder, war letztlich größer. Und: Ein Leben in Deutschland zu beginnen, ist für mich leichter als für die meisten Spanier und Portugiesen. Mein Vater war Deutscher.
Wie das lusitanische Sprichwort sagt: Die Ringe sind weg, die Finger sind noch dran.
Die Augen sind auch noch da.
Vieles in meinem neuen, alten Land erinnert mich an die ersten Krisenindizien im Süden vor zehn Jahren. Auch in Deutschland wird der Graben schmerzhaft größer zwischen denen, die Werbezettel in Supermärkten austeilen, und denen, die einer immer kleiner werdenden Mittelschicht angehören. Ich sehe in meinem Wohnviertel in Frankfurt die Klingelanlagen der Luxuswohnungen, die oft nur die Initiale ihrer betuchten Bewohner preisgeben. Als nächstes kommen wohl geschlossene Wohnanlagen mit Schranken und Wachmännern – genauso wie in Lissabon und Madrid.
Immer mehr Läden und Supermärkte haben bis spät in die Nacht auf, damit ich nach den Überstunden noch erschöpft einkaufen kann. Immer weniger Zeit für die Familie, immer mehr Menschen, die sich immer weniger für Politik interessieren.
„Die da oben“ ist eine der gebräuchlichsten Redewendungen im Süden, wo ich herkomme. Sie beschreibt die eigene Ohnmacht – die erlebe ich mittlerweile auch in Deutschland.
Jetzt wohne ich wieder hier. Ich habe einen Job und ich fühle mich als ein Privilegierter. Und was mache ich als erstes mit meiner neuen Kaufkraft? Ich fliege drei Wochen ins Krisengebiet: nach Lissabon und Faro. Ich will Abstand suchen von dem, was ich in Deutschland jeden Tag sehe. Auch hier reicht jetzt ein kleiner Stolperstein, mit dem jede große Krise beginnt, und man gehört zu „denen da unten“.