REINHARD WOLFF ÜBER FOLGENLOSE „STRESSTESTS“ FÜR RUSSISCHE AKWS : Bloß kein Stress
Die Europäische Union möchte alle Atomreaktoren in Europa einem „Stresstest“ unterziehen, auch die AKWs der Nachbarstaaten. Dabei dachte man wohl an Reaktoren in Russland und Weißrussland. Doch der unverbindliche Wunsch aus Brüssel dürfte dort kaum Schweißperlen auf die Stirn treiben. Denn was sollten solche Stresstests Neues bringen?
Sollten die Uralt-Reaktoren vom Tschernobyl-Typ, wie sie bei St. Petersburg stehen und bei denen nach Explosionen wie in Fukushima der schmelzende Kern offen unter dem blauen Himmel liegen würde, plötzlich irgendwie unsicher sein? Brandgefährlich, weil vollgestopft mit Graphit? Strahlengefahr durch fünf übervolle Lagerbecken mit abgebrannten Brennelementen direkt an der Ostsee? Ging doch in den letzten 37 Jahren auch gut! Und um Appelle der internationalen Atomenergieorganisation, diese Reaktoren möglichst schnell abzuschalten, hat man sich ja schon in der Vergangenheit nicht gekümmert.
Angesichts dessen hatte Litauens Präsidentin Dalia Grybauskaite eine Idee, wie die Stresstests etwas mehr Biss bekommen könnten. Sie schlug vor, die Staaten der EU sollten sich verpflichten, keine Elektrizität mehr von Reaktoren zu kaufen, die „nicht den höchsten Sicherheitsanforderungen genügen“. Bis jetzt speisen Länder wie Finnland oder Österreich ihren Strom nämlich gerne aus russischen oder tschechischen Reaktoren in ihre Netze ein. Zugleich zeigt man mit dem Finger auf sie, kritisiert sie als technisch gefährlich, unsicher oder chronisch störanfällig. Der Atomstrom vom Nachbarn ist ja immer noch viel billiger als Investitionen in regenerative Energieproduktion.
Bezeichnenderweise fand Grybauskaites Vorschlag kein Gehör. Die Botschaft lautet: Stresstestet mal schön eure AKWs von St. Petersburg bis Temelín. Aber den dort produzierten Strom wollen wir auch in Zukunft noch kaufen.
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