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Archiv-Artikel

REINER WANDLER ÜBER DIE WAHLEN IN TUNESIEN Gewerkschaft bändigt Islamisten

Tunesien bleibt Vorbild. Anders als Ägypten – vom Nachbarn Libyen ganz zu schweigen – geht das Geburtsland der Arabellion seinen Weg zur Demokratie mit sicherem, ruhigem Schritt. Am Sonntag wählten die Tunesier ihr erstes Parlament auf Grundlage der neuen Verfassung. Nach den Wahlen zur Verfassunggebenden Versammlung 2011 waren es die zweiten freien Wahlen in dem nordafrikanischen Land.

Und es ist das erste Mal, dass die Mehrheit wechselt – friedlich, per Stimmzettel. Die Islamisten von Ennahda, die vor drei Jahren stärkste Partei wurden, wurden von den Wählern für ihre Regierungsarbeit abgestraft. Mit Nidaa Tounes gewann eine säkulare Kraft die Wahlen. Ennahda gratuliert artig den Gewinnern, noch bevor das vorläufige Wahlergebnis vorliegt.

Tunesien ist anders, nicht zuletzt, weil es eine gut artikulierte Zivilgesellschaft hat. Deren Kern bildet – in Zeiten neoliberaler Politik mag dies verwundern – die mächtige Gewerkschaftszentrale UGTT. Dass Tunesien trotz zweier politischer Morde 2013 nicht im Chaos versank und dass die neue Verfassung dann fertiggestellt wurde, geht auf die Arbeit der Gewerkschaft zurück. Sie verstand es, den notwendigen Druck aufzubauen, um alle politischen Kräfte zum nationalen Dialog für einen geordneten Übergang zur Demokratie zu bewegen.

Hinzu kommt eine politische Klasse, die nie ganz vergessen hat, dass sie unter dem alten Regime von den gleichen Richtern in die gleichen Gefängnisse gesteckt wurde. Auch in Zeiten hitzigster Diskussionen – und an denen fehlte es in den vergangenen drei Jahren nicht – rissen die Kontakte zwischen Islamisten und säkularen Politikern nie völlig ab. Der politische Gegner wurde so nur in den seltensten Fällen zum politischen Feind. Das ist nicht die schlechteste Grundlage für eine heranwachsende Demokratie.

Ausland SEITE 11