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Archiv-Artikel

REGIONALFÖRDERUNG NACH ERWEITERUNG: EU MUSS KOMPROMISS FINDEN Arme nicht gegeneinander ausspielen

„Zielgebiet 1“ heißt ein eurokratischer Status, der jenen Regionen, die ihn haben, viel europäisches Fördergeld in die Kassen spült. Weil mit der EU-Osterweiterung – gemessen am europäischen Standard – überwiegend arme Länder Mitglied werden, verliert Ostdeutschland ab 2006 diesen Status. In Leipzig trafen sich gestern die ostdeutschen Regierungschefs mit dem EU-Kommissar für Regionalpolitik, Michel Barnier, um zu fordern, dass Brüssel den Geldhahn nicht zudrehen darf.

Einerseits ist diese Forderung engherzig. Dass Ostdeutschland heute Teil der westlichen Welt ist, ist nicht unwesentlich den Bürgerrechtsbewegungen in Tschechien oder Polen zu verdanken. Es waren der Volksaufstand in Prag, die tscheschoslowakische Charta 77 und die Gewerkschaftsbewegung Solidarność in Polen, die zu den Wurzeln der DDR-Systemkritik wurden. Jetzt nur mit dem Portemonnaie zu argumentieren, zeugt nicht von der angemessenen Dankbarkeit. Die Forderung ist zudem unangebracht. Die Angleichung der Lebensverhältnisse in Deutschland Ost und West ist keine europäische Aufgabe, sondern eine nationale. Artikel 107 des Grundgesetzes schreibt fest, dass der Deutsche Staat die Angleichung betreiben muss.

Andererseits ist die Forderung berechtigt. Schließlich ist der Statuswechsel ein rein statistischer: Die Probleme des deutschen Ostens werden nicht kleiner, nur weil die Berechnungsgrundlage – der Wohlstandsdurchschnitt – sinkt. Wichtig ist eine weitere Förderung auch im Interesse der EU: Zusammenwachsen wird nur, was zusammengehört, wenn dazu auch die Bereitschaft vorhanden ist. Nicht in Brüssel oder Berlin, sondern bei den Menschen entlang der EU-Binnengrenzen. Das Signal „Ihr bekommt nichts, Polen und Tschechien bekommen alles“ wäre genau das Falsche.

Richtig ist deshalb das Signal, das Kommissar Barnier gestern gab: Er werde sich für eine angemessene Behandlung der ostdeutschen „Zielgebiete 1“ einsetzen. Wie sich die Regierung Schröder derzeit für diese Gebiete einsetzt, ist hingegen wenig überzeugend. Leben wie Gott in München muss auch in Riesa möglich sein. Doch ein besonderer Ehrgeiz, dem eigenen Grundgesetz zu genügen, ist in Berlin nicht zu verspüren. NICK REIMER