■ Querspalte: Es geht um die Wurst
Als die Diepgen-Kopie Ingrid Stahmer am Sonnabend den Wahlkampf der Berliner SPD eröffnete, stand ihr ein schier übermächtiger Gegner im Weg. Überall, wo sie hinkam, war er schon da – die ach so beliebte Berliner Currywurst.
Currywürste an sich sind ja unpolitisch. Wenn sie ihre Nase auch immer wieder in roten Ketchup und indische Gewürzmischungen stecken, so haben sie seit ihrer Entdeckung doch vermieden, in die Fettnäpfe tagesaktueller Politik zu treten. Vor zehn Tagen wurde es aber einer Wurst zu langweilig, als sie mehrere Stunden in einer Schöneberger Imbißbude im Altöl herumbrutzelte. Das schwere Ding sog sich trotzig bis an den Rand seines Darms mit Bakterien voll, was ihr sicher gar nichts genützt hätte. Doch in genau diesem Moment entschloß sich an der selben Bude eine Frau, etwas zu essen, die Regierende Bürgermeisterin werden will. Das war ein großes Glück. Die Wurst kam mit der Frau ins Krankenhaus.
Der Spitzenkandidatin einer großen Volkspartei ging es schlecht, und doch ging es ihr viel besser als vor der Zeit im Krankenbett. Vorher nämlich interessierte sich kaum jemand für sie, obwohl sie sogar Senatorin ist. Selbst als sie sich in ihrem diesjährigen Sommerurlaub an der Donau einen Finger brach, wollte sich niemand so recht Sorgen machen. Jetzt aber machte die Kandidatin endlich Schlagzeilen. Manche fürchteten, die Bratwurst wollte die Frau vergiften. So verging seither kein Tag, an dem sie nicht mit einem Doktor oder der Wurst oder einer Bakterie oder einem Lebensmittelexperten oder mit allen zusammen abgebildet wird.
Die Frau, die in Berlin schon bald die Mächtigste sein könnte, will sich der dringend verbesserungswürdigen Situation der Bratwürste jedoch nicht annehmen. Zuviel Publicity für die pappigen Dinger? Oder weil sie ohne Bakterienwurst nicht ins Krankenhaus gekommen wäre? Vielleicht hat die Frau, die so gut zur Berliner SPD paßt wie Rudolf Scharping zur Bonner Parteigruppe, wenigstens eines gelernt: Im Leben wie in der Politik geht's trotzdem um die Wurst. Willi Günther
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