■ Querspalte: Ach du liebe Nutte!
Ein total besoffener Dorfbewohner stolpert auf eine Bushaltestelle zu. Neben ihm watschelt eine Gans. Kurz vor seinem Ziel schlägt der Typ lang hin. Während ihm die Gans zart die Nase beknabbert, erscheint die Losung: „Tak pitch nelsja!“ (zu deutsch: So darf und kann man nicht trinken!) – Fernsehclip der „Russischen Partei der Bierliebhaber“.
Daß die Bierliebhaber offiziell als Partei registriert wurden, führen sie auf ihr solides ökonomisches Programm zurück. Es erschöpft sich nicht in dem Wahlspruch: „Mehr und besseres Bier billiger!“ Diese Partei ist internationalistisch, denn das Bier verwäscht die Grenzen zwischen den Nationen. Als Avantgarde stellt sie dem dumpfen, einsamen Insichhineinschütten von Wodka das geselligere und differenziertere Biertrinken gegenüber. Man könnte das als Indiz für den Fortschritt der russischen Gesellschaft werten, wenn es nicht jetzt einen bösen Rückschlag gegeben hätte: Die staatliche Fernsehgesellschaft ORT lehnte das letzte Reklamefilmchen der Partei wegen „nicht normativer Lexik“ ab. Darin sieht der uns bekannte Dorfbewohner Panzer gen Moskau rollen und will sich ihnen in den Weg werfen. Doch plötzlich erblickt er sich selbst mit Helm in der Luke eines der Fahrzeuge und bricht in den Ruf aus: „Ach du liebe Nutte, das sind unsere!“ Darauf folgt der Schriftzug: „Laßt uns friedlich zusammenleben!“ Bisher vergeblich führen die Bierliebhaber zahlreiche Stellen aus der Literatur an, um zu beweisen, daß das hier als Ausruf der Überraschung fungierende Wort „Nutte“ durchaus der russischen Sprachnorm entspricht. Auch andere Sender schrecken vor dem Clip zurück. Bierliebhaber-Generalsekretär Konstantin Kalatschow erblickt dahinter Machenschaften der Regierung. Gott sei Dank, so erklärte er gestern auf einer Pressekonferenz, gebe es in der „herrschenden Wodkapartei“ viele potentielle Überläufer: „Nach zuverlässigen Informationen trinken sie unter der Bettdecke heimlich Bier und spielen gar nicht so gerne Tennis.“ Barbara Kerneck, Moskau
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